Karlheinz Essl
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Ganz anders als Ockeghem, Johann Sebastian Bach, Beethoven oder Webern spielt Mozart für mein kompositorisches Schaffen keine besondere Rolle. Seine Person ist mir fremd und rätselhaft: Ein unter enormem inneren und äusseren Druck stehendes Genie, das auf vielen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen hatte und unterschiedlichsten Erwartungen ausgesetzt war, die es gleichermaßen zufriedenstellen wollte - und konnte.
Mein Verhältnis zu Mozarts Musik ist ambivalent: oftmals erscheint sie mir als klanggewordene Affirmation der gesellschaftlichen Verhältnisse, leichtfüßig und virtuos komponiert. Manche seiner Werke hingegen berühren mich im Innersten, weil sie kühn gegen den Strich gebürstet sind und bravourös über den damaligen Zeitgeschmack hinwegfegen. In der Fantasie für Klavier in c-Moll (KV 475) begegnet mir der gewitzte Improvisator, der sich keinen Deut um harmonische Konventionen schert: Ein Stück voller Brüche und schroffer Gegensätze, in dem ich tatsächlich "luft von anderem planeten" spüre und Potenziale entdecke, die in die Zukunft weisen. Meine uneingeschränkte Bewunderung verdient Mozarts Fähigkeit, den Fluss der Musik voranzutreiben. In der oben erwähnten Fantasie wird das Hauptmotiv fortwährend wiederholt, durch immer aberwitzigere Modulationen aber ständig neu beleuchtet, sodass es nie redundant wirkt. "Dasselbe immer anders" heißt dies später bei Schönberg. Oder sein nachgerade verschwenderischer Erfindungsreichtum im Einführen neuer thematischer Gestalten, in denen sich ein Gedanke wie von selbst an den anderen fügt. Dass sich Wolfgang Amadeus Mozart in seinem posthum veröffentlichten Würfelmenuett (KV Anh. 294d) auch noch mit dem Zufall eingelassen hat zeigt, welch enorme Spannweite sein kompositorisches Denken aufweist.
Zufallsgenerierte Version von Mozarts Würfelmenuett Von dort führt ein direkter Weg zur algorithmischen Musik unserer Tage, in der Computerprogramme den kompositorischen Prozess zu Ende führen und jenes hervorbringen, das in Mozarts Motiv-Fortspinnungen bereits im Keim angelegt ist: Musik, die sich wie ein Naturprozess vor den Ohren der Hörer entfaltet. In: DIE PRESSE, "Spectrum" (Wien, 31.12.2005)
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Updated: 17 Apr 2015