Foto: © 2006 by Mischa Nawrata
Es sitzt im Halbstock unterhalb des Cafés, in der Ostecke des Ausstellungshauses: Das Klang-Gehirn der Sammlung Essl, das seine sonischen Gedanken von hier aus in die verschiedenen Räume aussendet. Das ist einerseits wörtlich zu verstehen: Denn in Karlheinz Essls Studio findet sich die akustische Schaltzentrale des Gebäudes, der Schnitt- und Einspeisepunkt für die Klang-Tentakel, die in Gestalt der mit ihr verbundenen Lautsprecher in verschiedenste Bereiche der Hauses führen. Karlheinz Essl jr. – sein Name sei im Folgenden mit dem von ihm selbst entworfenen Kürzel kHz abgekürzt - ist freilich nicht nur der Musikwart des Hauses, der die richtigen Knöpfchen zur richtigen Zeit dreht, der immer wieder auch selbst kreative Hand an Sound-Environments anlegt, da er am besten um die kaum künstlerische Profilierung erlaubende Funktionalität der sonischen Raum-Temperierung weiß, kHz ist auch denkender Dramaturg, choreografierender Kurator. In seinem Kopf entstehen die Musikprogramme der beiden Essl-Häuser, dem SCHÖMER-HAUS und dem Museum der Sammlung Essl. Es ist jener Kopf, der ursprünglich – als ältester Sohn der Familie – dafür ausersehen war, die unternehmerischen Geschicke der bauMax-Gruppe zu leiten, der sich jedoch bekanntlich darauf verlegte, anstelle von Mitarbeitern und Bilanzposten Klänge möglichst gewinnbringend und sinnvoll zueinander in Beziehung zu setzen. Auch als Kurator ist kHz Komponist: Nicht die Musik findet Essl – in Gestalt fertig einkaufbarer Programme - , sondern Essl sucht und findet die Musik. Er selbst kommt auf die Leute seiner Wahl zu, er beauftragt, er regt an, er „coacht“, entwickelt im Dialog mit den MusikerInnen Konzepte und Ideen für die Beschallung der Räume – ohne dass diese dabei ihrer künstlerischen Autonomie, ihrer Letztverantwortung für das jeweilige Projekt verlustig gehen.„Ich habe mich ganz am Anfang einmal mit dem Choreografen Sebastian Prantl unterhalten. Er sagte: ‚Mach ganz persönliche Sachen, die dir wichtig sind, wo du dahinter stehst und denen du einen Stempel aufprägst. Und lass dich nicht verführen, indem du auf Trends und Moden aufspringst wie die anderen. Mach nur das, was für dich wichtig und was dir ein Anliegen ist“, erklärt kHz seine Philosophie. Die Komponistenperspektive ist auch insofern prägend für die Klänge der Sammlung Essl, als kHz - gänzlich autonom, da nicht öffentlich gefördert - seine fachlich fundierte Subjektivität zur Leitlinie erhoben hat. Weshalb die Chronologie der Konzertereignisse auch eng mit der künstlerischen Entwicklung des Komponisten verknüpft ist. 1992, kurz nach Abschluss der Studien an Universität und Musikuniversität Wien, übernahm er das Dirigat im Programm-Konzert. Um, nachdem in den ersten Jahren Alfred Altenburger, der Wiener-Philharmoniker-Violinist, das SCHÖMER-HAUS mit einem klassischen Mozart-, Beethoven- und Schumann-Programm beschallt hatte, die zeitgenössische Architektur gemäß der Anregung Claudio Abbados mit zeitgenössischen Klängen zu füllen.
Zu Beginn stand Essl des Öfteren auch selbst auf dem Spielplan, um sich in den folgenden Jahren – bei rund vier Konzerten per annum - auf selbigem rar zu machen. Dort las man in der ersten Hälfte der 90er-Jahre Namen wie Schönberg, Ives, Messiaen, Nono, Cerha, Haubenstock-Ramati, Lachenmann, Ferneyhough, Furrer, Haas (freilich auch schon jene von Christian und Wolfgang Muthspiel) – vieles von dem also, was in der Musik des 20. Jahrhunderts Rang und Klang hat, mit deutlicher Schlagseite in Richtung jener Tonsetzer, die dem Geist der Moderne unbekümmert auch durch postmoderne Zeiten folgten. Nicht zufällig, sieht sich doch auch kHz in dieser Linie. Betrachtet man die Namen der Komponisten, die ab 1992 mitKompositionsaufträgen bedacht wurden, und deren Resultate alljährlich im November im Rahmen eines Wien-Modern-Konzerts im SCHÖMER-HAUS uraufgeführt wurden und werden, so ergibt diese Liste gar eine kursorische künstlerische Vita Essls: In den ersten beiden Jahren standen Respekts- und Dankesbekundungen an die (nicht nur) für Essl wesentlichen musikalischen „Väter“ auf dem Tapet. Friedrich Cerha, der Kompositionslehrer an der Wiener Musikuniversität, und Roman Haubenstock-Ramati, der väterliche Freund und anregende Gesprächspartner, mit dem man sich in langen Nachmittagen im Café Prückel über Gott und die Welt unterhalten konnte, sahen sich auf diese Weise als wichtige Bezugspunkte in Essls musikalischer Welt herausgestellt. Dann war die jüngere Generation am Wort. Und auch hier spielten persönliche Beziehungen eine große Rolle: Ramón González-Arroyo hatte kHz 1986 in den Niederlanden kennen gelernt, wo die beiden im Team mit Gottfried Michael Koenig an dessen (nie fertig gestelltem) Kompositions-Software „Projekt 3“ arbeiteten. Bei Richard Barrett, Robert HP Platz und Alessandro Melchiorre handelte es sich um Essls „Composer in residence“-Kollegen bei den Darmstädter Ferienkursen in den frühen 90er-Jahren. Komponisten, die – wie auch Wolfram Schurig oder Mark Applebaum – durch ihre dem Moderne-Denken verpflichtete Arbeit allesamt ein engeres (Barrett) oder loseres Naheverhältnis zur britischen Schule der „New Complexity“ aufwiesen. Wie auch kHz selbst.
Die Zäsur, die für den zunehmend an internationaler Bekanntheit gewinnenden Jungkomponisten die Einladung zu den Salzburger Festspielen 1997 – in Gestalt einer Personale im Rahmen der „Next Generation“-Reihe – bedeutete, sie sollte sich mit entsprechender Zeitverzögerung auch in den Kompositionsaufträgen der 00er-Jahre – die nunmehr an stärker kontrastierende ästhetische (Außenseiter-)Charaktere wie Konrad Rennert, Thomas Heinisch oder Serge Verstockt gingen – abbilden. Noch wesentlich stärker freilich im Musikprogramm des kurz darauf eröffneten Ausstellungshauses der Sammlung Essl. Die Einladung nach Salzburg, an sich ein „Höhepunkt einer Komponistenkarriere klassischen Zuschnitts“, so Essl, bedeutete für ihn „beinahe einen Absturz“. „Ich bin danach in ein tiefes Loch gefallen. Mir wurde meine isolierte Situation als Komponist bewusst, der allein am Schreibtisch sitzt und Partituren notiert“, erzählt kHz im Interview. Der Weg aus der Krise führte über die Rückbesinnung auf seine Jugendjahre, als er in Rockbands mit der E-Gitarre gelärmt und klassischen Kontrabass studiert hatte. Als neuer „sozialer Anschluss“ an die Musikwelt fungierte nun freilich die Elektronik: m@ze°2 heißt das selbst entwickelte Software-Instrument, das ihm bis heute rasche, spontane Reaktion auf musikalische Abläufe ermöglicht.
Essl tauchte ein in die damals pulsierende Wiener Elektronik-Szene, und es nimmt nicht Wunder, dass die ursprünglichen musikalischen Pläne für das Ausstellungshaus, dessen Eröffnung im November 1999 mittels des vierstündigen Laptop-Konzertes pFlug von Essl, den Wiener Szene-Speerspitzen Christian Fennesz und Peter Rehberg sowie dem Berliner Zeitblom in der Rotunde beschallt wurde, auf eine „Außenstelle“ für jene brodelnden Umtriebe hinausliefen. react_chain_ wurde dieses Projekt im Ausstellungshaus überschrieben, gemäß der Idee der Etablierung eines Musikerpools, der hier selbstständig und eigeninitiativ – ähnlich einer „Kettenrektion“ – Ideen entwickeln und umsetzen sollte. Es blieb beim Plan – die kleine Stadt, Klosterneuburg, erwies sich zumindest in den Köpfen als doch zu weit entfernt von der großen. Essl sah sich erneut als gestaltender Kurator gefordert – und setzt in dieser Rolle seit 2005 lose Themenschwerpunkte: STRANGE WORLDS lautete das nur sehr bedingt nachvollziehbare Motto 2005, COOP das des im Zeichen von künstlerischer Interdisziplinarität stehende Programm für 2006. Für 2007 wurde NÄHE UND FERNE als künstlerisch zu reflektierende Devise ausgegeben. Während man im SCHÖMER-HAUS weiterhin der zeitgenössischen Tonsetzerei verpflichtet ist, findet sich diesem im Ausstellungsgebäude nunmehr eine bunte Spielwiese der Klänge entgegensetzt, eine informelle „low-budget-Schiene“, offen für Elektronik, Improvisation, Performance, Multimediales und Transdisziplinäres - ein Experimentlabor, in dem Projekte „auch einmal scheitern dürfen“, so Karlheinz Essl. Die Offenheit und die Vielseitigkeit, die Essls musikalische Arbeit heute zwischen den Polen Notation und Improvisation, analoger und digitaler Sound, Raumklang und Klangraum prägt, sie findet in der Programmvielfalt ein spannendes Echo.
In den Räumen der Sammlung Essl hört man zu einem Gutteil Musik, die man anderswo nicht hört. Was einerseits am Kurator liegt, der seine Rolle als eine aktive, stimulierende, nicht als konsumierende sieht, der Musik nicht fertig übernimmt, sondern für seine Räume entstehen, erarbeiten lässt. Und das hat mit jenen Räumen zu tun, die in ihrer akustischen Eigenart, in der Flexibilität hinsichtlich der Art und Weise ihrer Bespielung, auf die Musik zurückwirken. Karlheinz Essl jr. hatte mit seiner Wahl des „Kompositionsbeauftragten“ gleich zu Beginn eine glückliche Hand: Friedrich Cerhas Quellen, 1992 uraufgeführt, sollten sich nicht nur als eines der konzentriertesten und dennoch gestaltenreichsten, sondern auch als eines der meistgespielten jüngeren Werke des Doyens der österreichischen Komponisten erweisen. Im Falle von Roman Haubenstock-Ramatis „Equilibre“ (1993) war das Glück auch ein tragisches. Es sollte das letzte Werk des Vordenkers tonsetzerischer Indetermination bleiben, der wenige Monate später nach schwerer Krankheit starb.
Roman Haubenstock-Ramati: Equilibre (1993)
Die Stücke jüngerer Komponisten müssen indessen vielfach noch ihren Weg in andere Konzertsäle finden: Isabel Mundrys „Pas encore plus“, das mit strukturellen Ordnungen und Wandlungen eines sich selbst organisierenden Ensembles spielt, liegt unter dem heutigen Namen „Le Voyage“ immerhin bereits auf CD vor. Desgleichen Richard Barretts „Ruin“ für sechs räumlich verteilte Instrumentaltrios, die ihre klanglichen Arbeitsprozesse – u. a. agieren Schlagwerker auf elektrisch abgenommenen Schultafeln - in besonderer Weise auf die akustischen Gegebenheiten des SCHÖMER-HAUSEs abstimmten, und das zuletzt 2006 am Konzerthaus Dortmund gespielt wurde.
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Uraufführung von Mark Applebaums Asylum
SCHÖMER-HAUS, 14 Nov 2004
Erinnerungswürdig scheint zudem das Auftragsprojekt von Mark Applebaum, der für seine skrupulös ausnotierte Raumkomposition Asylum von 2004 die Instrumentalisten im Stiegenhaus des SCHÖMER-HAUS-Foyers verteilte und mit ihnen psychische Störungsphänomene musikalisch thematisierte, die sich – etwa in Gestalt eines paranoiden Flötisten, eines zwanghaft-obsessiven Trios oder eines Oktetts mit Tourette-Syndrom (das unerwartet in unangebrachte Ausbrüche verfiel) - wechselseitig überlagerten, während der am Treppenabsatz postierte Schlagzeuger in Anspielung auf die Primärnutzung des Gebäudes mit Hämmern, Schrauben und Bohrmaschine musikalisch „heimwerkte“.
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Gitarren-Installation Disordered Systems
Sammlung Essl, 9 Apr 2003
Klingende Schlaglichter seien auch auf das Ausstellungshaus geworfen. Auch hier war und ist in mehrfacher Hinsicht Unerhörtes zu vernehmen. Die filigranen, schwebenden Oberton-Sound-Tableaus von Disordered Systems die Gunter Schneider und Barbara Romen im April 2003 schufen, indem sie Stäbe verschiedener Länge und Stricknadeln durch die Saiten ihrer Gitarren steckten und zum Schwingen brachten, sie fanden in der halligen Akustik des Galerie-Raums 1 ein denkbar adäquates Ambiente vor. In krassem Gegensatz dazu stand die Aktion Public Attack vom September 2000, als Karlheinz Essl gemeinsam mit den sich periodisch nach ihren Wanderungen durch die Ausstellungsräume um ihn in der Rotunde sammelnden Posaunisten Mike Svoboda, Bertl Mütter und Werner Puntigam den sonntäglichen Ausstellungsbetrieb „perforierte“, sprich, das Bilder begutachtende Publikum durch so manch unerwartete Klangintervention verstörte.Im besten Sinne experimentell, also im Resultat unabsehbar, stellt sich auch die Blind Date-Reihe dar, in deren Rahmen Essl Musiker zum Zusammenspiel lädt – zum erstmaligen Zusammenspiel freilich nur, wenn die wechselseitige, gleichsam jungfräuliche Kommunikation noch von keinerlei automatisierten Mustern beeinträchtigt wird. Der Kennenlern-Prozess sieht sich so weitgehend auf die musikalische Ebene verlagert: Ein konzeptionelles Setting, das auch beim so angebahnten Aufeinandertreffen der in Wien ansässigen Mezzosopranistin Margarete Jungen und der aus Wuppertal angereisten Akkordeonisten Ute Völker zu grandiosen Ergebnissen führte.
Das Musikprogramm der Sammlung Essl ist kein Programm der Namenlosen, es ist freilich eines, das weitgehend ohne „Stars“ auskommt. Nur einige wenige haben ihren Weg nach Klosterneuburg gefunden: Lawrence Casserley etwa, der britische Elektronik-Pionier. Oder Dror Feiler, der komponierende und improvisierende, politisch engagierte Kritiker seiner Heimat Israel. Oder, wie erwähnt, Christian Fennesz. Die voluminösen, sich in minutiöser Langsamkeit verändernden Drones, die Phill Niblock im Frühjahr 2002 im damals noch zugänglichen Depotraum 1 generierte, und in die er wie üblich in Filme aus den 60ern einklinkte, in denen Bauern und Handwerker immer wiederkehrende Tätigkeiten ausüben - Maniok hacken, Mais stampfen, Fische aus dem Wasser ziehen – , sie rochen nach anschaulichem Musikgeschichtsunterricht.
Es fällt schwer, einzelne Events herauszugreifen, es fällt schwer zu vergleichen. Atmet doch beinahe jede klingende Darbietung die Aura des Einmaligen, des individuell für diesen einen Abend Entworfenen, auskristallisiert im fruchtbaren Dialog zwischen den drei Polen Musiker (bzw. Komponist) – Kurator - Raum. Kein Zweifel, das Musikprogramm der Sammlung Essl verdient das Attribut eines Gesamtkunstwerks. Von dessen Substanz man vieles gerne auch im regulären Konzertsaal erleben würde.
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Updated: 12 Oct 2019