Portrait

Karlheinz Essl

In memoriam Roman Haubenstock-Ramati

1994


RHR

Roman Haubenstock-Ramati
27. Februar 1919 - 3. März 1994
Foto: privat


Während meiner Studienzeit bin ich RHR zum ersten Mal begegnet. Er war damals Vorstand des Instituts für elektro-akustische und experimentelle Musik der Wiener Musikhochschule, das ich zwischen 1985 und 1987 häufig frequentierte. Gemeinsam mit Gerhard Eckel hatte ich ein Stück für Klavier und Live-Elektronik - con una certa espressione parlante... - komponiert, das wir dem Institutsleiter vorführen wollten. Es wurde also ein Termin ausgehandelt und wir trafen uns eine Woche später in einem der Abhörräume. Nachdem das Stück verklungen war, drehte ich mich erwartungsvoll um und erhoffte mir eine wie auch immer geartete Kritik. Doch RHR schwieg nur, zeigte aber statt dessen Interesse an meiner in Arbeit befindlichen Webern-Dissertation. Ehe ich mich's versah, fand ich mich in eine Debatte über Weberns Streichquartett op. 28 verstrickt, die mich noch lange Zeit beschäftigte. Ich vermutete, daß ihn Weberns Struktur-Modelle besonders fesselten; doch diese interessierten ihn am allerwenigsten, vielmehr aber seine zarten und zerbrechlichen Klanggebilde.

Aus dieser Begegnung entwickelte sich ein zunächst lockerer Kontakt, später eine Freundschaft. Wir trafen uns meist in RHR's "Wohnzimmer", dem Café Prückel. Bei schwarzem Kaffee und vielen Zigaretten philosophierten wir über Kunst, Politik, Gott und die Welt, diskutierten neue Partituren, erläuterten Notationsprobleme oder stritten uns über die Rolle des Computers beim Komponieren. Dabei erlebte ich, wie RHR ein Gespräch durch eine pointierte Bemerkung zum Kippen bringen konnte, wenn er eine überraschende, andersartige Sichtweise ins Spiel brachte, die neue Zusammenhänge erkennbar werden ließ.


Cover der Zeitschrift ton von RHR

Erste Ausgabe der Zeitschrift ton mit einer
Covergraphik von Roman Haubenstock-Ramati


1991 wurde die Zeitschrift ton gegründet. RHR erklärte sich spontan bereit, das Titelblatt der ersten Nummer zu gestalten und machte außerdem noch den Vorschlag, diese Graphik als Siebdruck in limitierter Auflage herauszubringen. Aber damit nicht genug: er ließ sich - trotz seiner Abneigung gegenüber den Medien - überreden, anläßlich von WIEN MODERN ein Gespräch mit Christoph Herndler und mir zu führen, das wir in unserer Zeitschrift abdrucken wollten. Wir sprachen gerade von Zufall und Chaos, als das, was eigentlich ein Interview hätte werden sollen, eine unerwartete Wendung nahm. RHR drehte nämlich den Spieß um, als er begann, uns die Fragen zu stellen. Daraus entfaltete sich ein spannender, äußerst chaotischer Diskurs, durchsetzt von mannigfachen Abschweifungen, Exkursen, Einwänden und Wiederaufnahmen bereits fallengelassener Aspekte unter geänderten Voraussetzungen. Kurz: alle Register von RHR's musikalischer Rhetorik fanden sich hier in den Bereich der Sprache transponiert - nachzulesen als o-ton-Gespräch im ersten Heft dieser Zeitschrift.

Kipp-Phänomene dieser Art finden sich auch in seiner Musik zuhauf und sind für mich eines der wesentlichen Charakteristika seiner kompositorischen Arbeit. Immer ist sie im Fluß und in stetiger Veränderung begriffen, wie auf der Suche nach sich selbst. Niemals ist diese extrem gefährdete, zerbrechliche Klangwelt ihrer selbst sicher. Ich erlebe sie wie "auf des Messers Schneide" und entdecke darin berückende Momente, wenn sich durch wunderbare Fügung neue Situationen ergeben, so, als würde etwas bereits Erkanntes in anderes Licht getaucht werden und dadurch neue und unbekannte Gesichtspunkte hervortreten. (Nicht zufällig bezieht sich eine seiner Kompositionen auf die verschiedenen Ansichten der Kathedrale von Rouen, wie sie Monet gemalt hat.) Das Offene, Un-Eindeutige, immer aber bewußt Geformte seiner Klangwelt trägt eine Utopie in sich, die weit über das bloß Erklingende hinausweist: seine Musik statuiert als Exempel, daß es immer noch andere Wege, andere Möglichkeiten gibt und daß es gilt, diese Herausforderung anzunehmen. Die Platitüde, wonach ein jedes Ding zwei (und zwar nur zwei) Seiten habe, hat RHR ad absurdum geführt. Obwohl ich nie sein Schüler gewesen bin, habe ich dennoch von ihm für's Leben gelernt.

Wien, 8.-9. März 1994

© 1994 by Karlheinz Essl / ton


in: ton - "Roman Haubenstock-Ramati", hrsg. von Lothar Knessl (IGNM Österreich: März 1994)


Equilibre (1993) - Musik für 9 Solisten
Roman Haubenstock-Ramatis letztes Werk, Kompositionsauftrag von Agnes und Karlheinz Essl

Uraufgeführt am 14.11.1993 durch das Klangforum Wien
im Schömerhaus Klosterneuburg im Rahmen von Wien modern



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Updated: 13 Dec 2019

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