Funkenflug 5
Künstlerhaus 1050, 2. März 2017
Karlheinz Essl im Gespräch mit der Historikerin Rosemarie Burgstaller
2. März 2017 im Künstlerhaus 1050
Video: Markus Lobner
Rosemarie Burgstaller: Karlheinz Essl, sie haben in Ihrem Stück FABRIC die verschiedenen Geschichtsebenen sehr offen miteinander verwoben. Als Inspirationsquellen dienten Ihnen einerseits Text- und Bildmaterialien zur Altmann’schen Textilfabrik, andrerseits aber auch der Restitutionsprozess des Bildnisses Adele Bloch-Bauer I an Maria Altmann.
Karlheinz Essl: Ich bin ja bloß Komponist und kein Historiker, deswegen hatte ich eine völlig andere Herangehensweise. Ich habe mich vor allem vom Raum und seiner Architektur inspirieren lassen und habe sofort diesen „spirit” gespürt, der hier herrscht. Bei meinen künstlerischen Recherchen bin ich auf die weitverzweigte Familie Altmann gestoßen mit ihrer Kunstaffinität, und in diesem Zusammenhang auch auf Adele Bloch-Bauer, die von Klimt portraitiert wurde. Diese Hintergrundgeschichten haben mich fasziniert. Daraus ist schließlich ein Stück enstanden, in dem es gar nicht mehr um Restitution oder die Fabrik geht, sondern um etwas ganz allgemeines, viel größeres: um den Traum vom „besseren Leben” jener Textilarbeiterinnen, die in dieser Fabrik gearbeitet haben als Symbol für andere Menschen, die heute an anderen Orten der Welt ihre Arbeit in „Sweat Shops” verrichten, damit wir unsere Jeans um 20 Euro kaufen können! Das steht in meinem Stück viel mehr im Vordergrund als die banale Geschichte dieses Ortes, der eigentlich nur als Symbol für etwas anderes fungiert.
Alle, die sich in der klassischen Musik ein bisschen auskennen haben hier sicher das Schubertlied „Gretchen am Spinnrade” erkannt. Es geht um den Mythos der Frau am Spinnrad, wie ihn auch Goethe im „Faust” verarbeitet hat. „Meine Ruhe ist hin” seufzt Gretchen und greift sich verzweifelt an die Brust, weil Faust ihr Avancen gemacht hat und sie sich nicht mehr auskennt.
Mein Stück heißt FABRIC was so viel bedeutet wie Gewebe. Ich habe mit zwei verschiedenen Fadenmaterialien gearbeitet: Klangfäden aus dem Schubertlied und als Kontrast das Geräusch einer Nähmaschine. Dieses mutiert im Laufe des Stücks zum Klang einer Eisenbahn. Dies wird mit den Bildern der Eisenbahngeleise und des Bahnhofs noch untermauert.
Von Schubert verwende ich nur die ersten fünf Takte seines Liedes. Es besteht aus vier unterschiedlichen Klangfäden. Zunächst ein regelmäßiger Puls, als wenn jemand das Pedal zum Antreiben des Spinnrades tritt, eine Art Bordun. Darüber ein Herzschlag-Motiv (tam-ta tam-ta tam-ta tam-ta) und ein sich drehendes Sechzehntelmotiv im Pianissimo, welches das Spinnrad sympolisiert. Diese drei Fäden bilden ein Gewebe, das zuletzt durch die Stimme ergänzt wird: „Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer”. Diese Fäden habe ich nun auseinandergedröselt, so dass ich sie unabhängig voneinander in Echtzeit manipulieren kann in Hinblick auf Tempo, Dynamik und in der Art, wie diese einzelnen Tönen miteinander verwoben werden. Dies wird immer wieder mit den Geräuschen der Nähmaschine bzw. des Zuges konterkariert.
RB: Welche Rolle spielt hier die Improvisation?
KHE: In der Klangebene des Stücks spielt sie keine Rolle, da es eine genaue Partitur gibt, nur ist diese zeitlich frei. Das gibt mir die Möglichkeit, unmittelbar auf den Ort, den Raum und vor allem auf die Visuals zu reagieren. Für Simon Essl, der die Live-Visuals gestaltet, habe ich ein Software-Instrument gebaut, das nur acht Fotos als Material verwendet, die nach einem speziellem Algorithmus miteinander verbunden werden. Er spielt das fast wie eine Geige und hat sich auch einen Plan zurechtgelegt. In der Performance sehen und hören wie gleichzeitig und reagieren aufeinander. Wir bilden eine Art rückgekoppeltes Netzwerk; dadurch wird das Stück bei jeder Aufführung auch anders. Die Großform jedoch ist immer gleich. Interessant war für uns, dass das Stück bei jedem Durchspielen fast gleich lang dauert, obwohl es keine Zeitmarken gibt und wir keine Stoppuhren verwenden.
Uraufführung von FABRIC am 2. März 2017 in der ehem. Altmann'schen Textilfabrk
Karlheinz Essl: live-sound, Simon Essl: live-visuals
Video: Markus Lobner
RB: Wie sieht denn die Partitur aus?
KHE: Es handelt sich um eine symbolische Notation, in der die verschiedenen Parameter des Stücks beschrieben werden – z.B. die Dynamik der vier Schubertschen Klangfäden, der Crossfäde zwischen dem Schubert und der Maschine und eine Fülle von Klangprozessoren, die etwa aus dem Klavier ein Cembalo machen oder eine E-Gitarre. Daraus bildet sich immer wieder eine „wall of sound”, bei der sich zuletzt das Klavier zu einem weißen Rauschen auflöst. Das, was dabei zu machen ist – wie schnell sich die Reglerpositionen ändern etc. – ist minuziös in verschiedenen Farben notiert, damit ich das besser differenzieren kann.
Benutzeroberfläche der Software (links) mit Partiturseite (rechts)
© 2017 by Karlheinz Essl
RB: Welche Rolle spielt die visuelle Ebene in Ihrer Arbeit?
KHE: Im Idealfall sind Musik und Bild gleichwertig. Bei einem Multimediaprojekt steht die oftmals Visualisierung im Vordergrund, aber mein Sohn hat die Balance hier wunderbar hingekriegt. Es ist ein bisschen so wie bei Schönbergs „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene” wo er eine Filmmusik komponierte, bevor es den Film gab. Hier ist es ähnlich: Zuerst gab es die Musik und die Software, mit der die Visuals generiert werden, und daraus ensteht im Moment der Performance quasi ein Film in Echtzeit, live zur Musik.
Videostills aus FABRIC
© 2017 by Karlheinz Essl
RB: Was hat Sie an der Geschichte von Bernhard Altmann am meisten fasziniert? Die Bilder für Ihr Stück haben Sie selbst ausgewählt. Da gibt es ein Foto eines Bahnhofs - ist er das selbst auf dem Bild?
KHE: Diese Frage musst natürlich kommen! Wenn ich an „alternative facts” glaube, würde ich diese Frage bejahen. Er ist es natürlich nicht, aber er könnte es gleichwohl sein. Man sieht einen Mann mit Hut und Trenchcoat, der in Vöcklabruck auf einem Bahnsteig steht. Dabei ist es völlig egal, ob dieser Herr wirklich Bernhard Altmann ist oder jemand anderer. Es ist einer, der mit dem Zug fährt. In meinem Stück geht es viel um Abschied und Transfer - wohin auch immer. Das kann alles mögliche sein, dazu fällt mir vieles ein. Aber darüber möchte ich nicht reden…
RB: Transfer - also auch Vertreibung. Beim Geräusch der Nähmaschine dachte ich an die Nadelstiche der Geschichte, die bis in die Gegenwart reichen. Haben sie früher schon mal Arbeiten gemacht, die sich auf geschichtliche Themen beziehen?
KHE: Die Auseinandersetzung mit Geschichtlichem begleitet mich seit Jahrzehnten. In meinem Werkverzeichnis gibt es sogar eine eigene Kategorie „Music on Music”. Begonnen hat das bereits in den 1980er Jahren, als ich über ein Stück von John Dunstable (ein englischer Komponist des 14. Jahrhunderts), das damals sehr populär war - O rosa bella - geforscht habe. Ich wollte damals ein Konzert mit dem Clemencic Consort machen, ausschließlich mit Bearbeitungen dieser Melodie. In den Archiven habe ich viel unbekanntes Material entdeckt und daraus ein Konzertprogramm zusammengestellt. Dabei hatte ich soviel Spass, dass ich selbst eine Bearbeitung geschrieben habe, wo ich die verschiedenen Fundstücke - Duos, Orgelintabulierungen, ganze Messen etc. - für Streichtrio und Holzbläser arrangiert habe.
Im Wagnerjahr 2013 habe ich eine CD mit drei unverschämten Bearbeitungen von Highlights wie dem „Walkürenritt”, Parsifalchor und Tristan-Vorspiel unter dem Titel WAGNERIANA herausgebracht. Dabei habe ich jeweils einen kurzes Audiosample in seine Einzelteile pulverisiert und diese neu zusammengesetzt.
Mit Visuals habe ich 2015 eine Arbeit gemacht für das 650-jährige Jubiläum der Universität Wien. In diesem Auftragswerk OMNIA IN OMNIBUS lasse ich die Geschichte dieser 650 Jahre in Bild und Ton wieder aufleben. Da habe ich auch mit meinem Sohn Simon Essl zusammengearbeitet, der als zweiter Künstler die visuelle Ebene selbstständig gestaltet hat. Den Zeitraum von 1365 und 2015 habe ich in 8 Epochen unterteilt wie Gotik, Renaissance und Barock. Für jeden Abschnitt gibt es ein prototypisches Musikstück aus der Zeit, das in seine Einzelteile faschiert und zu neuen Klanggestalten zusammengefügt wird.
Brigitte Anderl: Mich würde interessieren, wie die Zusammenarbeit zwischen akustischer und visueller Gestaltung in FABRIC funktioniert hat.
KHE: Das Visuelle basiert auf einer Software, die ich extra für dieses Stück geschrieben habe. Eine Art „Instrument”, das live gespielt wird und aus einem Repertoire von 8 Fotos und speziellen Verarbeitungsalgorithmen einen Echtzeitfilm generiert. Dafür brauchte ich einen Spieler, der selber Videokünstler ist, sich in der Materie auskennt und mich kennt und meine Musik mag. So bin ich auf Simon gekommen. Unser zweiter Sohn Marian wäre dafür auch in Frage gekommen, aber hatte heute seine Aufnahmsprüfung an der Angewandten...
Karlheinz Essl: Soundtrack of FABRIC
Live recording (1 Mar 2017, Studio kHz)
RB: Welche Bedeutung hat für Sie Musik als Erinnerungsmedium?
KHE: Wie ich schon zuvor angemerkt habe, steht bei multimedialen Projekten das Visuelle oft im Vordergrund. Das liegt daran, dass unser Hirn bzw. unsere Sinne sehr stark visuelle ausgerichtet sind. In meinem Verständnis ist der visuelle Sinn sehr stark analytisch und mit dem Cortex verbunden und damit mit einer rationalen Beurteilung verkoppelt. Das hat sicher auch damit zu tun, das wir das Sehen erst viel später lernen als das Hören. Dieses findet ja bereits im Mutterleib statt. Das Sehen muss aber erst nach der Geburt erlernt werden. Das Re/Konstruieren seiner Um/Welt aus den optischen Sinneseindrücken ist ein Lernprozess, der lange dauert. Bei seiner Geburt ist das Kind faktisch blind. Es „sieht” zwar irgendwelche Lichtflecken, kann diese aber noch nicht zuordnen, weil es deren Bedeutungen noch nicht erlernt hat.
Das Hören hingegen ist tief im limbischen System verankert. Mit der Musik kann ich den Menschen direkt im Innersten treffen. Deswegen bin ich auch Musiker geworden und nicht bildender Künstler.
Home | Works | Sounds | Text | Concerts |
Updated: 20 Jan 2022