Karlheinz Essl

Portrait KHE

onwards

for three instruments and computer
1999/2000

Commissioned by the Konzerthaus Vienna for trio accanto


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Live recording of the premier performed by trio accanto and Karlheinz Essl (computer)
Konzerthaus Vienna, 28 Mar 2000


onwards is a dramaturgical composition for improvising musicians. The score provides each instrument with four different sound types - drones, textures, points, and repetitions - to be played in accordance with a definite time plan. The performers are free to interpret those sound types according to the given structural indications. The composer not only provides them with material which they can interpret at will, but also furnishes them with specific parameters. By exactly defining the time plan (which can be seen as a precise schedule), the progression of the composition is determined in advance.

"For some years, I have examined the role as a composer. At present, I have abandoned the notion of the composer as being the only creative spirit who plans and shapes every single detail of the composition." (Karlheinz Essl)

It is interesting to note that the composer himself often participates in his projects by means of a laptop computer by performing on his realtime software environment m@ze°2 written in MAX/MSP which runs on an Apple G3 PowerBook. (Bernhard Günther)


Werkkommentar zur Uraufführung

Die Funktion des Komponisten als Demiurg ist für Karlheinz Essl fragwürdig geworden. "Musik kann doch nicht bloß die Reproduktion vorgefertigter Partituren sein. Sie bildet sich erst im Prozeß der Aufführung." Mit à trois - seul und mise en scène (1998 und 1999 im Wiener Konzerthaus uraufgeführt) hat Essl einen neuen Weg in seinem Schaffen eingeschlagen und gleichzeitig unmißverständlich seiner Skepsis gegenüber der Funktion des Komponisten als bloßer Partiturenlieferant Ausdruck verliehen. "Seit einigen Jahren beschäftigen mich Fragen über die Rolle des Komponisten. Für mein momentanes Schaffen habe ich den Komponisten als Schöpferperson, die alles bis ins kleinste Detail durchgestaltet und durchorganisiert, verabschiedet. Natürlich schreibe ich auch Stücke, die fein durchgearbeitet, und an denen mehr oder weniger alles textuell determiniert ist, was sich an Musik überhaupt präfixieren läßt, gleichzeitig komme ich aber als ausübender Musiker von der improvisierten Musik..." Aus diesem bipolaren Denken entstand "onwards" für drei Instrumente und Elektronik als Auftragswerk des Wiener Konzerthauses für das "trio accanto". Es stellt einen konsequenten Schritt weiter in den Bereich der musikalischen Interaktion dar, ohne auf gängige Improvisationsklischees mit ihrer euphorischen wie anachronistischen "anything goes"-Mentalität zurückzugreifen.

"onwards" - das heißt "vorwärts", "in ständiger Bewegung", "[unaufhaltsam] fortschreitend". Der Weg als Ziel? - "Das Stück ist telelogisch gedacht.", erläutert Essl. "Als ich es zu konzipieren begann, kamen die ersten Impulse dazu aus einer gewissen Zukunftsangst heraus. Vieles war für mich im Umbruch. Vieles mußte neu über- und durchdacht werden. 'onwards' war für mich in diesem Zusammenhang der positive Aspekt meiner Angst, eine Richtung, die ich einschlug, eben vorwärts..."

In "onwards" werden genaue Formvorstellung und eine exakte prozessuale Entwicklung mit einer Vielzahl von nicht klar definierten Klangsituationen verbunden, die vom Musiker im Moment der Realisation erst entschieden werden müssen. Bereits in früheren Werken, die sich im Spannungsfeld zwischen obsoletem Werkbegriff und Prozeßgedanken bewegten, stellte Essl Werk und Prozeß als die Extremwerte eines Spektrums mit vielfältigen Zwischenstufen dar. "onwards" bedient sich einer dieser Übergangsformen, indem mit freier Verwendung und Gestaltung von musikalischem Material bei gleichzeitiger Fixierung von Struktur operiert wird.

Innerhalb der genau festgelegten Zeitstruktur werden die Instrumentalstimmen als Schichten gehandhabt. Die Live-Elektronik ist ein vom Komponisten gespieltes Instrument, das auf einem von Essl selbst entwickelten Computerprogramm (m@ze°2) basiert. Dieser elektronische Part ist gleichsam das Brennglas, das die anderen Instrumentalstimmen bündelt, synthetisiert, gemeinsame Klangbasen erzeugt, vermittelt, differenziert und akzentuiert.

Die vier Schichten beinhalten vier verschiedene klangliche Strukturtypen:


DRONES
langgezogene, an- und abschwellende Töne, die mit wenig Fluktuation gespielt und bei Wiederholung nicht transponiert werden. Sie repräsentieren einen konstanten, homogenen Klangzustand


TEXTURES
innerlich bewegte, granulierte Klänge, die auf unterschiedlichste Weise gestaltet werden


PUNKTE
schroffe, heterogene, expressive Gestalten, kurze Eruptionen, die von Pausen unterschiedlicher Länge durchbrochen werden


REPETITIONEN
Klänge, der in verschiedenen Geschwindigkeiten innerhalb eines Rasters gespielt werden, wie Rhythmen bzw. Pulsationen


Der Komponist als bloßer Materiallieferant? - "Nein, keineswegs. Ich möchte hier nicht unbedingt von der spirituellen Funktion des Komponisten sprechen, denn dies wäre in esotherik-belasteten Zeiten wie unseren wohl zu mißverständlich. Der Komponist liefert in 'onwards' nicht nur das Material, mit dem die ausführenden Musiker frei umgehen können, sondern die Idee. Ich lege durch die genaue Fixierung von Zeiträumen die prozessualen Fortschreitungen innerhalb des Stückes fest. Da ich aber bei dem Stück als ausübender Musiker selbst mitwirke, steige ich vom Demiurgensessel herunter, auf dem der Komponist als Schöpfer in traditioneller Weise sitzt, begebe mich auf Seiten der Musiker, stelle also nicht nur Anforderungen an sie bei der Realisation der Partitur, sondern auch an mich selbst. Ich muß auf die Klänge der anderen reagieren mit meinem Instrument, in diesem Fall der Elektronik."

Die Vorwärtsbewegung kennt die Erinnerung nicht, denn die unmittelbare Gegenwart ist ihr nur Mittel zum Erreichen der nächsten. Der Gefahr, in die Erinnerungslosigkeit eines selbstvereinheitlichten, sich selbst fortspinnenden, eigendynamischen Prozesses zu fallen, steuert Essl entgegen: "Erinnerung ist stets da. Ich rekuriere immer wieder auf frühere Situationen. Diese kommen immer wieder, nur in anderer Gestalt. Jeder der vier klanglichen Strukturtypen erfährt im Verlauf des Stückes seine Veränderung, nimmt dennoch aber stets auf das Vorangegangene Bezug. Erinnerungslosigkeit im Sinne eines beständigen Fortspinnens ohne Rückverweise gibt es hier nicht."

Die "Partitur" beinhaltet nur die in ihrer zeitlichen Gestalt ausgearbeiteten und strukturierten Schichten der Instrumente. Die einzelnen Zeiträume sind von den Musikern gemäß der strukturellen Vorgaben innerhalb gewisser, ihnen zugestandenen "Freiheitsgraden" zu gestalten, mit Klangleben zu erfüllen. [ER]FÜLLE DIE ZEIT! könnte das Motto der Arbeit sein, denn in einem riesigen komplexen Proportionskanon inszenieren sich große Beschleunigungs- und Verdichtungsbewegungen. Da die verschiedenen instrumentalen Schichten jedoch nicht bloß zeitversetzt einsetzen, laufen sie am Schluß - ähnlich wie bei einer Sinuskurve, die mit einander anderen moduliert wird - zusammen, findet Synthese statt. Synthese ist ein sich leitmotivisch durch Essls Schaffen ziehender Gedanke. Sie entsteht bei ihm jedoch nicht durch die Aufhebung der Grenzen zwischen heterogenen Elementen, sondern vielmehr durch die Freisetzung der jedem Element innewohnenden Eigenpoetik durch Konfrontation mit Gegenteiligem. Jedes Element in seinen Kompositionen scheint vorerst einmal ein in sich geschlossener, komprimierter, punktförmiger Kosmos zu sein, der im weiteren Verlauf mit anderen gleichwertigen Kosmen in Beziehung tritt. In "onwards" geht "jeder Musiker seinen Weg, der zwar im Großen einem gemeinsamen Gesetz gehorcht, der aber im Detail völlig unterschiedlich aussieht. Mir ging es darum, aus der polyphonen Anlage zu einem Ergebnis zu gelangen, das als Gesamtklang zu bezeichnen ist, die Verschmelzung der einzelnen Schichten."

Die Dialektik von Improvisation bei gleichzeitiger genauer Festlegung der Zeiträume ist der mentale Antrieb des Stückes, das jedoch niemals zu Ende komponiert werden kann, sondern immer nur seine vorläufige Form in der Realisation durch ein Musikerkollektiv findet. Denn in einer endgültigen Interpretation würde die mentale Vorwärtsbewegung des Stückes zum Stillstand kommen, die Zeit wäre erfüllt, es gäbe nur noch den Tod...

Dr. Christian Baier

Text für das Programmheft der Uraufführung im Wiener Konzerthaus im Rahmen des Festivals "Hörgänge" am 28. März 2000.


Score

The score of onwards can be downloaded for free. Please note that the music is protected by copyright.


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Updated: 5 Apr 2018

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