KHE KHE Andreas Okopenko

Karlheinz Essl - Regina Freimüller - Andreas Okopenko
Libraries of the Mind


Lexikon-Projekt

Multimediale Rauminstallation für den KLANGTURM ST.POELTEN
1996-1998


KLANGTURM ST.POELTEN

KLANGTURM ST.POELTEN
Installation des Lexikon-Projekts im 3. Obergeschoss


Dieses Projekt besteht aus drei miteinander vernetzten medialen Komponenten, die über den Raum aufeinander bezogen sind:

Für kurze Zeit werden die 3. Klangkugel und die 3. Klangebene des Klangturmes St. Pölten in eine Welt der Klänge, Texte, Bilder und Stimmen verwandelt, in der die Besucher*innen interaktiv eingreifen können, um damit eine einmalige und nicht-reproduzierbare Fassung dieses Werkkomplexes herzustellen.


KLANGTURM ST.POELTEN

Eröffnungs-Performance 25. Juli 1998
Andreas Okopenko (Lesung) - Karlheinz Essl (Computerklavier-Improvisation)


Der Titel LEXIKON-Projekt verweist auf den engen Systemzusammenhang dieser drei Arbeiten, die versuchen, den Begriff der Enzyklopädie in seiner komplexen Struktur auf unterschiedliche Art zu analysieren. Das Lexikon hat im Zeitalter des World-Wide Web seine Funktion als bloßes Nachschlagewerk (im Sinne von in die Hand nehmen und nachschlagen) verloren, durch Suchmaschine, Links und weltweite Vernetzung steht es dem User zur Disposition, in ein Labyrinth von Beziehungen einzutauchen, um womöglich im Meer dieses Wissens zu einer höheren Erkenntnis zu gelangen. Die Dekonstruktivisten, hier besonders Jacques Derrida, betonen, daß Sprache und dadurch auch Sprachwerke ausschließlich im jeweiligen Kontext verstanden werden können und ihre Bedeutung sich mit jeder Lektüre ändert. Jeder Text wird verstanden als Teil eines großen Textes, eines ,Intertextes', in dem alle Teile in einem Dialog miteinander stehen. Ergo birgt das erneute Lesen eines Textes, das erneute Hören einer Melodie, das erneute Sehen eines Bildes... für den Rezipienten ein noch nie dagewesenes Erlebnis und führt den Besucher auf eine Reise in die Unendlichkeit.



Die Lexikon-Sonate, 1992 von Karlheinz Essl als work-in-progress begonnen, läßt einen Pianisten vermissen. Anstelle diesem wird ein Computerprogramm eingesetzt, in dem 24 Musik-Module in verschiedenen Kombinationen einen Yamaha Disklavier Flügel steuern und eine "Realtime Composition" entstehen lassen. Die 24 Module sind unterschiedlichen Strukturtypen zuzuordnen: Sie generieren klavierspezifische Topoi wie Melodien, Akkorde, Texturen, Repetitionen oder Pausen, die über verschiedene Zufallsgeneratoren zusammengefügt werden.


KLANGTURM ST.POELTEN

Installation der Lexikon-Sonate in der 3. Klangebene
Computer-Stele (Design: Regina Freimüller) - Yamaha Disklavier


Für die Implementierung der 24 Module greift Essl auf eigene Analysen historischen Materials aus dem Fundus der Klaviermusik zurück (von Johann Sebastian Bach bis Beethoven über Brahms, Schönberg und Webern hin zu Stockhausen und Boulez), die mittels eigener Algorithmen resynthesiert werden. Sie erscheinen nur in Anklängen (Allusionen), niemals aber als wörtliches Zitat.

Laut Essl "soll das Kunstwerk selbst dermaßen offen gestaltet sein, daß kognitive Interaktionen sinnvoll möglich sind. Der Rezipient tritt damit aus seiner gesellschaftlich verordneten Passivität und wird zum Mitschöpfer." Dieses aktive Mitgestalten-Könnens macht das Kunstwerk zu einem zutiefst politischen, da die Situation, mit die BesucherInnen im Ausstellungsraum konfrontiert ist, ein Mitagieren fordert und die passive Berieselung ausschließt. Formal verweist hier Essl auf Umberto Ecos Konzept des >Offenen Kunstwerks (1962): "In diesem Sinne also ist ein Kunstwerk, eine in ihrer Perfektion eines vollkommen ausgewogenen Organismus vollendete und geschlossene Form, doch auch offen, kann auf tausend verschiedene Arten interpretiert werden, ohne daß seine irreproduzible Einmaligkeit davon angetastet würde." Diese formale Offenheit erlaubt die Entstehung einer Vielzahl von möglichen Kompositionen, deren Generierung durch Einflußnahme der BesucherInnen ausgelöst wird.



Der Lexikon-Roman von Andreas Okopenko erschien bereits 1970 in Buchform. Dem Aufbau einer Enzyklopädie folgend, ist das Buch alphabetisch nach Kapiteln geordnet, wobei jedes Kapitel in Form von Referenzpfeilen auf andere Kapitel verweist. So ist also der Suchprozeß nicht linear vorgegeben, sondern kann je nach Interesse vom Besucher subjektiv gesteuert werden. Begleitet wird der Besucher auf seiner Reise - wobei er auch aufgefordert wird, Ergänzungen zum Text beizusteuern - durch die Stimme des Autors Okopenko, der den Text auf Wunsch wiedergibt. Graphiken von Alfgard Kircher und Fotografien von Krista Kempinger komplettieren die Arbeit. Das subjektive Vorgehen des Besuchers, der durch Interaktion zum Forscher wird, macht es möglich, daß der Roman, der dabei entsteht, immer neu ist, und es so nie zu einer Wiederholung des Werks kommen kann. "Statt dessen gibt es umgekehrt ein durch Vergangenheit und Zukunft hindurch gehendes Korrelat von ,Gegenwart' als unentschiedene, nämlich unerledigte Aktualität und in die Haltung zu ihr immer wieder Vergegenwärtigung." (Ernst Bloch, Differenzierung im Begriff, S. 151 - 152)


KLANGTURM ST.POELTEN

Lesestation für den Lexikon-Roman in der 3. Klangkugel
Apple Macintosh PowerBook 1400


Die Installation des Lexikon-Romans, die in der 3. Klangkugel präsentiert wird, ist mit der Arbeit Lexikon-Sonate verbunden. Beim Anklicken eines Stichwortes im Lexikon-Roman wird ein Steuerbefehl an den Zentralcomputer im Hauptraum geschickt, der die Lexikon-Sonate generiert, wodurch sich die Musik sofort ändert.



Das Lexikon-Orakel fungiert als meditativ-suggestive Kommentierung des lexikalen Geschehens: theoretische Texte über die Lexikon-Sonate wurden mit einem speziellen Markov-Ketten-Algorithmus dekonstruiert und werden in Echtzeit mittels Zufallsoperationen neu zusammengesetzt. Diese Texte werden direkt vom Computer gesprochen: Eine sanfte Flüsterstimme kreist im Inneren der 3. Klangkugel, wird aber auch in das Stiegenhaus und auf die Klangsessel im Kassenbereich übertragen, wodurch die verschiedenen Räume miteinander verbunden werden.


KLANGTURM ST.POELTEN

Im Inneren der 3. Klangkugel: das Lexikon-Orakel


Unbefragt flüstert das Lexikon-Orakel verborgene Weisheiten, verkündet profunde Wahrheiten und ergeht sich in tiefschürfenden philosophischen Betrachtungen über kompositionstheoretische Fragestellungen im Zeitalter der Postmoderne. Der Sinn ist oftmals dunkel, manchmal auch überraschend erhellend - immer aber tiefgründig und rätselhaft. Die HörerInnen selbst sind es, die darin geheime Botschaften für sich selbst entdecken können.


© 1998 by Alexandra Viehhauser / Klangturm


Credits



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Updated: 3 Feb 2024

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