Ergötzlicher Bildungsroman eines Komponisten (Peter Cossé)
in: Der Standard (Wien 8 Aug 1997) und ÖMZ 10-11/97, p. 71-72
Es mag vielleicht nicht ganz passend wirken, eine Veranstaltung mit zeitgenössischer, neuer und zum Teil sogar völlig neuwertiger Musik als gelungenes Konzert zu bezeichnen. Und doch schienen dem Wiener Komponisten Karlheinz Essl als Promotor des ersten Next Generation-Termins 97 Synthesen von Unterweisung und Ergötzung geglückt zu sein. Natürlich darf auch Schirmherr Hans Landesmann mit Genugtuung auf seinen guten Riecher verweisen, denn verhältnismäßig leicht ist es, den Nachwuchs namhaft zu machen, schwierig indes, ihm nicht nur ein tolerables Stück, sondern gleich eine tragfähige Dramaturgie zu entlocken.
Karlheinz Essl (37) hatte dem unter Hans Zender ungeheuer funktionstüchtig spielenden Ensemble modern die Orchesterstücke op.10 von Webern, Kurtágs Quasi una fantasia (op.27) und Scelsis Anahit für Violine (Freya Kirby) und 18 Instrumentalisten aufgetragen eine Folge von Definitionsversuchen dessen, was Musik im 20. Jahrhundert leisten sollte. Umrahmt wurden die drei Belegexemplare aus Essls künstlerischem Entwicklungsroman von zwei Eigenkreationen des Programmierers, von denen das erste, eine Entsagung für vier Instrumentalisten und 4 Lautsprecher lebhafter in Erinnerung blieb als das Auftragswerk der Festspiele ...wird sichtbar am Horizont für räumlich verteiltes Ensemble.
Womöglich waren es aber Scelsis schwere Klangraummassierungen, mit denen eine der Venus verwandte Göttin besungen wird, die Essls im Saal verteilte Motiverektionen doch beliebig wirken ließen. Insgesamt jedoch eine fulminante Gesamtdarbietung heutiger Musik aus den vitalen Archiven eines Mannes mit besten Aussichten, als Komponist eine führende Rolle zu spielen.
Raum wird hier zum Klang
(Ernst Naredi-Rainer)
in: Kleine Zeitung (Graz, 8 Aug 1997)
Die ungewöhnliche Position des Dirigentenpults galt der Uraufführung einer Auftragskomposition der Salzburger Festspiele. Am Mittwoch wurde im Großen Saal des Mozarteums, der bei der Konzeption dieser 1996/97 entstandenen Komposition eine wichtige Rolle spielte, Karlheinz Essls ...wird sichtbar am Horizont aus der Taufe gehoben. Erstmals zu hören war dabei ein Stück, das verschiedene Bedeutungsebenen in sich vereint und mit seiner komplexen Struktur unverkennbar die Handschrift des 1960 in Wien geborenen Komponisten trägt.
Der Titel seines für Salzburg geschriebenen Werks entstammt einem Gedicht von Ingeborg Bachmann, die darin das Lebensgefühl nach der einschneidenden Zäsur des Zweiten Weltkrieges beschrieb. Das Aufgreifen dieser Stimmung stellt einen Aspekt der Komposition dar, auf rein musikalischer Ebene stellt er ruhige Klangflächen und energiegeladene Gesten einander gegenüber, verwebt sie zu einem dichten Dialog, der vom aggressiven Beginn zum ruhigen Ende führt, das Haltetöne auseinanderfasert und verebben läßt.
Große Bedeutung kommt auch dem rein klanglichen Element zu, einerseits der Abwendung vom Geräuschhaften, andererseits der Verteilung im Raum. Auf dem Podium saßen hinter dem Dirigenten nur drei Instrumentalisten, die übrigen Mitglieder des exzellenten Frankfurter Ensembles Modern hatten sich auf dem Balkon verteilt, um den Raum zum Klang werden zu lassen und mit dem Klang einen Raum zu errichten, den jeder Zuhörer aus einer anderen Perspektive wahrnimmt.
Die heftig akklamierte Uraufführung dieses von Betty Freeman gesponserten Auftragswerkes war der abschließende Höhepunkt des ersten der beiden "Next Generation"-Konzerte. Wie sein deutscher Kollege Matthias Pintscher (26), erhielt auch Essl die Möglichkeit, zwei Konzerte zu programmieren. Der auch als Intendant versierte Komponist ("Zu meinen Konzerten kommen jeweils 400 bis 700 Zuhörer in das SCHÖMER-HAUS in Klosterneuburg", berichtete er der Kleinen Zeitung) präsentierte Werke seiner "musikalischen Väter" Webern, Scelsi, Cage, Kurtág und Stockhausen mit Eigenem.
An den Beginn stellte er seine 1991-93 entstandene Entsagung, die einerseits seine Vorliebe für die Einbeziehung des Computers dokumentiert, andererseits sein Prinzip, Strukturverläufen mehr Bedeutung einzuräumen als dem rein klanglichen Element.
Hörfunkausstrahlung: Sonntag, 24. August, 23.05 Uhr, Ö 1.
Der Raum: "virtuell" und doch auch ziemlich konkret
(Reinhard Kriechbaum)
in: Salzburger Nachrichten (Salzburg, 8 Aug 1997)
Musik im Raum lade den Hörer "zur aktiven Teilnahme am Klanggeschehen ein", schreibt Karlheinz Essl. So werde der Hörer "selbst zum Schöpfer, der erst im Akt des Hörens aus den mehrdeutigen Rauminformationen seine persönliche Fassung des Werkes konstruiert. Kreatives Hören wird so zur Reflexion der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit und vermag uns darüber hinaus neue Möglichkeiten von Welt zu zeigen."
Da ist festgeschrieben, was viele Komponisten der Generation von Essl verbindet, was mithin so recht zeitgeistig ist. Ein Schelm, wer argwöhnt, daß da mit Raum-Experimenten Dinge erkundet würden, die eine Generation vorher schon hinlänglich ausgetestet hat, daß also das Rad noch einmal erfunden werde. Jetzt wird, sehr elegant, dem Hörer das Bummerl zugespielt; er muß sich an die "Reflexion der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit" machen.
Gerade an Essls Stück ...wird sichtbar am Horizont, einem am Mittwoch vom "Ensemble Modern" im Mozarteum uraufgeführten Auftragswerk der Festspiele, kann und muß man das zeitgeistige Postulat befragen. Das Werk ist so phantasiereich, so geschickt und instrumentengerecht gesetzt, es lebt von kühnen Vermischungen der Klangfarben - warum um alles in der Welt darf sich der Hörer nicht einfach so einlassen auf diese anschaulich konzipierte, spannende und mitteilsame Musik? Warum nach weiteren "Möglichkeiten von Welt" suchen, die dann etwa so aussieht: Die Flöte kommt vom Balkon, links hinten, und es ist deutlich zu hören, daß ein Cello in rund sechs Metern Entfernung, ebenfalls links, aber eben mehr zur Saalmitte hin aufgestellt ist. Jede Wette, daß-von dieser Musik nichts verlorengegangen wäre, wenn nicht nur der Pianist und die beiden Schlagzeuger, sondern das gesamte Streicher- und Bläserensemble auf dem Podium Platz genommen hätte.
Karlheinz Essl ist bei weitem nicht so sehr Konstruktivist und von der Technik besessen, wie in der selbstgewählten Verunstaltung seines Namens (er schreibt das a mit dem Computersignum des "Klammeraffen") anklingen mag. Er ist ein präziser Denker in Klangfarben. Das Spaltende, sich voneinander Absetzende interessiert ihn eher als die Synthese. Die Entsagung, mit der das Konzert begonnen hatte, gehört zum Besten, was mir seit Jahren an live-elektronischer Musik untergekommen ist. Da dient die Elektronik nicht zur klangspektralen Erweiterung, sondern wird als eigene Sprache, als Trägerin einer eigenen Ästhetik eingeführt: Das Ensemble (Flöte, Baßklarinette, Klavier, Schlagzeug) tastet sich aus einer Nebelzone des Hauchens vor zu einer konkreten musikalischen Verständigung. Doch dann legen sich elektronische Klänge wie beiläufig darüber, gewinnen immer mehr Volumen und schließlich so weit die Oberhand, daß die Beiträge der akustischen Instrumente verstummen.
Daß sich die Klänge aus dem Lautsprecher verflüchtigen, könnte man als Hoffnungs-Indiz nehmen: Der Sieg der Elektronik mag nur von kurzer Dauer sein. Auch das ist jedenfalls Musik mit einer sehr eigenständigen Aura, was die Erfindung für die Instrumente angeht. Die Technik wird mit ebenso souveräner Selbstverständlichkeit gehandhabt.
In der Reihe "Next Generation" der Festspiele ist intendiert, daß die Komponisten ihre eigene Musik in ein Umfeld stellen, das für den Hörer Verbindungslinien erkennen läßt. Essl hat Fünf Stücke für Orchester, op. 10, von Webern gewählt, und das Ensemble Modern fühlte unter Hans Zender mit schier stupender Perfektion der Klangfarbenmelodie nach. György Kurta'gs "Quasi una fantasia", eine bereits zum wohlfeilen Demonstrationsobjekt avancierte Raummusik, evoziert tatsächlich plastische Poesien, an die Essls am Mittwoch uraufgeführtes Auftragsstück für die Festspiele nicht annähernd heranreicht. Auch das ist ein Stück so recht nach Gusto und Können des blendend disponierten Frankfurter Ensembles.
Eine aufsehenerregende Musik ist "Anahit" von Giacinto Scelsi. Sie hat 1965 gewiß revolutionär kühn gewirkt. Keineswegs zaghafte Klangschichtungen eines Kammerensembles lehnen sich an eine Violin-Solostimme, die ganz langsam, über weite Strecken nur in einem melodielos durchklingenden Einzelton, höher steigt. Ein rigoroses Form- und Klangexperiment von einprägsamster Wirkung.
Salzburg modern
(Jürg Stenzl)
in: Falter 33/97 (Wien, August 1997)
Salzburger Festspiele. Ob die Direktion der Festspiele ihre Pyrenäen-Etappen, die Voraussetzung für einen Gesamtsieg, meistert, erweist sich, Mozart und Schubert zum Trotz, an der Musik unseres Jahrhunderts, die in Salzburg von Nono, Feldman und Scelsi bei zur "Next Generation" eines Karlheinz Essl reicht.
"Next Generation" ist eine Folge von Konzerten, in welchen Hans Landesmann jeweils einen jüngeren österreichischen Komponisten Kompositionsaufträge erteilt und sie einlädt, die Auswahl der weiteren Stücke sozusagen mitzukomponieren. Dieses Jahr sind es der Deutsche Mathias Pintscher und der Österreicher Karlheinz Essl, der sich, damit man seine Modernität erkenne, jetzt mit Klammeraffen Karlheinz Essl schreiben läßt.
Es ist nicht ohne Risiko, die eigene Musik mit "Leuchttürmen" wie dem Renaissancekomponisten John Dunstable, mit Cage und Stockhausen, Scelsi, Kurtág und Webern (über den Essl seine Dissertation geschrieben hat) zu umgeben. Leicht könnte das eigene in deren Schatten versinken. Doch Essls Musik hat vielfache und saftige Wurzeln. Jazz zählt genauso dazu wie die ganz alte Musik, die Computertechnologie und die Auseinandersetzung mit bildender Kunst, der ja im Hause seines Vaters nicht zu entkommen war.
Am überzeugendsten erscheint Essl dort, wo er, wie in Entsagung (1991-93), eine einfache Disposition - vier Instrumentalisten stehen Klängen aus vier Lautsprechern gegenüber und wirken aufeinander ein - kontinuierlich mit viel Sinn für klangliche Valeurs realisiert.
Im für Salzburg geschriebenen Werk ...wird sichtbar am Horizont werden Musiker des virtuosen Ensemble Modern unter Hans Zenders Leitung im Raum verteilt. Da fesselt zunächst das Springen von erregten Figuren und bloß dynamisch sich verändernden Zentraltönen im Saal. Man überhört da leichter, daß der Komponist in der Wahl seiner Materialien mitunter wenig wählerisch ist und daß ein an sich einfacher Tonsatz mit viel Drumherum verpackt wurde.
Diese Gefahr droht auch dem abschließenden durch das Klangforum Wien unter Johannes Kalitzkes präziser Leitung gespielten imposanten, mitunter gar theatralischen Cross the Border für drei Solisten und Ensemble. Der Grundriß wirkt einfach, und Essl liebt nichts so sehr wie die in sich dynamisch bewegten, stehenden Klänge und abschließenden Schläge. Hinter dem Werk könnte ein großer konzeptioneller Aufwand stecken; das Resultat ist eine wirkungsvolle, mit sicherem Handwerk geschriebene, gut durchhörbare Musik. Daß es dabei auch noch um nichts Geringeres als die "Dialektik zwischen Individuum, Kollektiv und Masse" gehe, entnimmt man staunend dem ansonsten für den Hörer nicht gerade hilfreichen Programmheft.
Gespinst aus Tönen
(Peter Baier)
in: Münchner Merkur (München, 8 Aug 1997)
Salzburg: Uraufführung von Karlheinz Essls Raum-MusikEin Platz in den vordersten Reihen nützt hier gar nichts: Die Musiker sitzen im Raum verteilt, die wenigsten von ihnen auf der Bühne. Karlheinz Essl, der 34jährige Avantgardekomponist aus Wien, hat sein Stück ...wird sichtbar am Horizont speziell für den Großen Saal des Salzburger Mozarteums konzipiert. Auf der Bühne wirken der Pianist und zwei Perkussionisten. Die drei Holzbläser und vier Streicher tönen irgendwo von der weitläufigen Galerie herunter. Raum-Klang und Klang-Raum: Die Uraufführung von Essls neuester Komposition hüllt den Hörer ein, webt ein dichtes Gespinst aus Tönen um ihn.
Karlheinz Essl ist heuer einer der beiden Vertreter der "Next Generation" bei den Salzburger Festspielen. Sein Stück ...wird sichtbar am Horizont basiert auf einer Textzeile aus dem Gedicht "Die gestundete Zeit" von Ingeborg Bachmann. Tastend, zögernde entwickelt sich die Musi. Punktuelle Einwürfe der einzelnen Instrumentengruppen verdichten sich allmählich zu einem Geflecht aus unterschiedlichsten Ebenen.
Die Musiker des Ensemble Modern unter der Leitung von Hans Zender vermitteln einen Höreindruck von unglaublicher Plastizität, gehen virtuos um mit der räumlichen Struktur dieser Komposition.
Essls zweites Werk, Entsagung für Querflöte, Baßklarinette, Klavier, Perkussion und vier Lautsprecher ist ein Wettstreit herkömmlicher Instrumente mit dem Computer. Dirigent Hans Zender bedient nach Partituranweisung ein Fußpedal, löst dadurch das Zuspiel synthethischer Klänge aus. Echo-Effekte verleihen der Komposition einen geheimnisvollen, exotischen Charakter.
Um seine Werke komponierte Essl, der das Programm nach eigenem Gutdünken zusammengestellt hat, Stücke, die in engem musikalischem Zusammenhang mit seinen Werken stehen. (...)
Raum voller Geräusche
(Edith Jachimowicz)
in: Die Presse (Wien, 8 Aug 1997)
Den prestigeträchtigen Familiennamen trägt er gewiß sehr gerne, sein Vorname scheint ihm hingegen zu wenig exklusiv zu sein. Daher hat er ihn graphisch mit einem sogenannten "Klammeraffen" herausgeputzt: K@rlheinz daher fortan, wann immer er in Druck erscheint.
Das Ensemble Modern Frankfurt und Dirigent Hans Zender standen im Mozarteumssaal zur Verfügung, um Essls Auftragskomposition ...wird sichtbar am Horizont für räumlich verteiltes Ensemble aus der Taufe zu heben. Das übrige Programm war nach den Wünschen des Komponisten zusammengestellt: Anton Webern, György Kurtág und Giacinto Scelsi bedeuten ihm viel.
Essl gehört zu jener Garde der komponierenden Intellektuellen, die sich intensiv mit den Phänomenen Klangraum und Raumklang auseinandersetzen. Sein jüngstes Werk hat er nach eigenen Angaben für den Großen Saal des Mozarteums geschaffen, für dessen traditionelle Form mit Guckkasten-Podium und um den Zuschauerraum herumlaufender Galerie. Auf Podium und Galerie verteilt er daher die Musiker, läßt sie Klänge und Geräusche in den Raum stellen, damit aufeinander reagieren oder das eigene Raumklangerlebnis weitertragen.
Auch das zweite, von Essl gewählte Stück Entsagung für vier Instrumentalisten und vier im Raum verteilte Lautsprecher beruht auf diesem Schema. Bewundernswert in beiden Fällen: die Musiker des Ensemble Modern, die mit Finesse die schier unzähligen Geräusch- und Klangvaleurs produzierten. Hans Zender, der sie souverän durch Karlheinz Essls Klangwelt führte, sorgte daneben für eine konzentrierte, lupenreine Wiedergabe der "Fünf Stücke für Orchester op.10" von Webern. Sie bildeten den idealen Ausgangspunkt für die beiden übrigen Kompositionen, die noch erklangen - jede auf ihre Weise wie eine poetische Weiterentwicklung von Weberns Grundsätzen mit stark atmosphärischer Wirkung. Kurtágs "Quasi una fantasia" für Klavier und Instrumentengruppen, (Solist: Hermann Kretzschmar) sowie Giacinto Scelsis lyrisches Poem mit Violinsolo "Anahit", von Freya Kirby mit schlankem, sehnsuchtsvollem Ton gestaltet, waren Lohn für die Anstrengung.
Wunderbarer Abend mit neuer Musik
(Ilse Retzek)
in: Oberösterreichische Nachrichten (Linz, 8 Aug 1997)
Am einmütigsten an diesem wunderbaren "Next Generation"-Abend im Salzburger Mozarteum, den der jungen Komponist Karlheinz Essl programmiert hatte, war noch die Uraufführung seines von den Salzburger Festspielen in Auftrag gegebenen Stückes ...wird sichtbar am Horizont für räumlich verteiltes Ensemble, wenngleich auch in bester zeitgenössischer Tradition. Trotzdem, mit der atmosphärischen Dichte seiner Entsagung, in der vier Instrumentalisten und vier Lautsprecher eine so lebendige wie dramatische "Lost-World"-Klangkulisse zauberten, konnte die seriöse Gediegenheit, etwas aufgelockert durch das bewußte Verteilen der einzelnen Instrumentengruppen im ganzen Saal, nicht mithalten. (...)
Neues im Geist der Väter
(Robert Wolf)
in: Salzburger Volkszeitung (Salzburg, 8 Aug 1997)
Die Konzertreihe "Next Generation" ist ein Test der Salzburger Festspiele für die Chancen hernanwachsender Talente. Der 37jährige Wiener Karlheinz Essl hatte Gelegenheit, sich Mittwoch im Mozarteum dieser Prüfung zu unterziehen. Er studierte an der Wiener Musikhochschule Kontrabaß, Komposition und elektro-akustische Musik. An der Universität Wien absolvierte er das Studium der Musikwissenschaft. Als Väter seiner schon vielfach bewährten musikalischen Einstellung bezeichnet er Karlheinz Stockhausen, John Cage und György Ligeti.
In der Komposition Entsagung für 4 Instrumentalisten und 4 Lautsprechern übertrug Karlheinz Essl sein Hörerlebnis in eine genau fixierte Partitur. Das Flüstern der Instrumente entwickelt sich zu einer lebhaften Wechselrede, die Lautsprecher mischen sich ein und gewinnen Oberhand. Die Instrumente versinken in Lautlosigkeit. Der Vorgang läuft mit äußerster Präzision ab, doch möchte man dem Komponisten wünschen, daß er sich mehr von den unberechenbaren inneren Regungen leiten läßt.
Die Uraufführung des Auftragwerkes der Salzburger Festspiele ...wird sichtbar am Horizont für räumlich verteiltes Ensemble bestätigt den perfekten Umgang mit Klangerscheinungen im Raum. Das Spiel glich einer in weite Dimension übertragenene Kammermusik. Vom Bezug zu dem erschütternden Gedicht "Die gestundete Zeit" von Ingeborg Bachmann hätte man andere Grade des Ausdrucks erwartet. (...)
Klang-Kräfte im Raum
(HL)
in: Neue Kronen Zeitung (Wien, 8 Aug 1997)
In der "Next Generation"-Reihe der Salzburger Festspiele kommen nicht nur Auftragswerke unter besten Bedingungen zur Uraufführung - jüngst eines von Karlheinz Essl -, die Komponisten bestimmen auch, welche Programm-Umgebung sie wünschen.Und die ist sehr stark. Auch beim Abend, den der Komponist Karlheinz Essl (* 1960) bestritt. Das Ensemble Modern spielte unter Hans Zender (...) Webern, Kurtág und Scelsi.
"Raum-Klang im Klang-Raum" ist für Essl eine maßgebliche Dimension. Die umzusetzen ihm fantastisch gelang in Entsagung, wo in einem Ablösungsprozeß Elektronik-Klangprojektionen das Geschehen bestimmen. Nicht so ganz überzeugend die Uraufführung ...wird sichtbar am Horizont: Prächtig gebaut, jedoch mit zu wenig Spann- und Raumkraft.
Gleißende Glissandi
(Peter Baier)
in: Münchner Merkur (München, 9/10 Aug 1997)
Werke von Karlheinz Essl in SalzburgFortsetzung des Prinzips Klang im Raum: Hat der Wiener Komponist Karheinz Essl im ersten der beiden ihm gewidmeten Salzburger "Next Generation"-Konzerte den gesamten Großen Saal des Mozarteums genutzt, um seine räumlich-musikalischen Vorstellungen zu verwirklichen, so begnügte er sich am zweiten Abend mit der Mozarteums-Bühne. Die allerdings teilte er: In seinem Stück Déviation setzt er zwei getrennte Trios ein, die miteinander korrespondieren. Links Baßklarinette, Violine und Klavier, rechts Flöte, Violoncello und Perkussion.
Zartes Flirren und Summen, gehauchte Töne der Bläser markieren das Intro. Die Musiker der Klangforums Wien steigern sich aber bald zu heftigen Trillerketten und gleißenden Glissandi. Dirigent Johannes Kalitzke koordiniert geschickt die Abfolge von schweren Einwürfen und hektischen Phrasenkürzeln, die sich mit leisen, melancholischen Passagen abwechseln.
Cross the Border arbeitet nach demselben Prinzip, nur daß der Komponist Karlheinz Essl hier ein Solisten-Trio aus Saxophon, Kontrabaß und Perkussion dem gesamten Ensemble gegenüberstellt. Beide Musiker-Gruppen ergänzen sich in weit ausschweifenden, stark modulierten Liegetönen und - als Kontrast dazu - kurzen, rasant dahinhuschenden, meist aufsteigenden Sechzehntel- und Zweiunddreißigstel-Bewegungen.
Quasi als Ouvertüre zu seinem gesamten Schaffen hat Karlheinz Essl in das Programm seine Bearbeitung von John Dunstables Ballata O rosa bella aufgenommen. Das Klangforum zeigt, daß es auch Werke Alter Meister entsprechend zu interpretieren versteht.
Bruch mit den Prinzipien: Nicht mit Wiederholung, Variation oder ähnlichen Formstrukturen arbeitet Karlheinz Stockhausen in seinem Stück Kontrapunkte, sondern mit Tondauer, Lautstärke, Klangfarbe. Aber wie ein Gemälde eines Pointillisten setzen sich die "Kontra-Punkte" allmählich zu einem Gebilde von homogenerer Rhythmik zusammen.
Aus John Cages ad-libitum-Stück Music for... hat sich Karlheinz für eine Zehnerbesetzung entschieden, "Music for 10" also. Hier setzt er neben herkömmlichen Instrumenten auch den Computer ein, der über Lautsprecher schmatzt und tropft, im Forte knallt und im Pianissimo jammert. Eine auch künstlerisch sehr vielseitig begabte Maschine.
Erster Essl-Abend mit dem Ensemble Modern, zweiter Abend mit dem Klangforum Wien: Zeitgenössische Musik kann aufregend, spannend, auch schlichtweg schön sein, wenn sie nur engagiert und kompetent gespielt wird.
Die ganze Bandbreite
(W.J.M.)
in: Bayernkurier (30 Aug 1997)
Der zweite Komponist der jüngeren Generation, den die Festspiele neben Matthias Pintscher mit zwei Konzerten im Mozarteum sich vorstellen ließen, heißt Karlheinz Essl, Jahrgang 1960, der seine Liebe zur schönen neuen Welt damit kundtut, daß er das "a" in seinem Vornamen durch den E-Mail-"Klammeraffen" ersetzt. In beiden Konzerten setzt Essl eigene Kompositionen in Beziehung zu seinen musikalischen Vätern, einmal zu Cage und Stockhausen, ein andermal zu Webern, Kurtàg und Scelsi. Die jungen Komponisten haben bei der Programmkonzeption offensichtlich freie Hand: der Aufwand ist unbegrenzt. So mußten im ersten Essl-Konzert der Balkon und einge Parkettreihen für die Technik gesperrt werden, was allerdings insofern keine Rolle spielte, als, trotz Fan-Gemeinde, das Parkett halb leer blieb. Karlheinz Essl komponiert vor allem Raum-Musik: Entsagung für vier Instrumente und vier Lautsprecher eröffnete das Konzert mit instrumentalen Momenten, die immer stärker in den Sog des Computers gezogen wurden, der schließlich Klappergeräusche durch den Raum wandern ließ. Das viertelstündige, beschließende Auftragswerk nennt Essl, der sich gerne an große Namen und Inspirationen anderer Künste hält, ...wird sichtbar am Horizont aus Ingeborg Bachmanns "Die gestundete Zeit": Klavier, Schlagzeug, Holzbläser und Streicher sind als Sub-Ensembles im Raum verteilt, der alte Hut des neuen Raumklanges wird von Essl wortreich im Programm[heft] verklärt, doch die Klanggarben, die meist knapp aufscheinenden Raumimpulse, der Mangel an Stetigkeit zugunsten vielfarbiger Atemlosigkeit ermüden schnell. (...) Großer Beifall für das Ensemble Modern, den unermüdlichen Hans Zender und die Geigerin Freya Kirby für ein Zweistundenkonzert mit 55 Minuten Musik und vielen Umbaupausen.
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Updated: 22 Dec 2012