Ursula Strubinsky
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Es ist die Magie des Augenblicks, die Karlheinz Essl am Improvisieren von Musik fesselt. Der Ort, das Publikum, die Mitmusiker, die Atmosphäre - das alles sind Faktoren, die beim spontanen Entstehen eines Stückes maßgeblich sind. Doch der Ausgang dieses Prozesses ist ungewiß, denn Karlheinz Essl bevorzugt das Spiel ohne Netz. Es gibt keine Absprachen. Eine spannende Sache.
Seit mehreren Jahren ist Karlheinz Essl als aktiver Musiker im Bereich elektronische Musik tätig. Nun ist eine CD erschienen, die erstmalig Mitschnitte von Improvisationen von Karlheinz Essl - sowohl als Solist, wie auch in Duo- und Trio-Besetzung - enthält. ©RUDE ist der Titel des Albums. "Crude" - damit ist das Rohe, das Ungeformte gemeint. Ein Hinweis darauf, dass die Stücke des Albums nicht in der sterielen Atmosphäre eines Studios entstanden sind. Die CD versammelt vielmehr eine Auswahl von Konzertmitschnitten. Mit einer einzigen Ausnahme handelt es sich bei allen Stücken um spontane Improvisationen. Das Album ©RUDE soll in der heutigen Ausgabe der Sendereihe "Zeit-Ton" vorgestellt werden. Karlheinz Essl ist bei uns im Studio zu Gast und wird über seine Arbeit erzählen. Und durch die Sendung begleitet Ursula Strubinsky. |
Mit Improvisation hat sich Karlheinz Essl bereits als Jugendlicher beschäftigt, als er gemeinsam mit Freunden auf der Gitarre spielend über Nummern von den "Doors" und "Genesis" fantasierte. Später sollte klassischer Mainstream Jazz am Kontrabass folgen und schließlich völlig freie Improvisationen mit starken elektronischen Klanganteil in einer Trioformation. Doch das Kompositionsstudium beschränkte die zeitliche Möglichkeiten von Karlheinz Essl als aktiver Musik tätig zu sein.
Karlheinz Essl und sein Computerinstrument m@ze°2
Vor etwa fünf Jahren hat er aber die Improvisation wiederentdeckt. Statt Gitarre oder Kontrabass kommt jetzt der Laptop zum Einsatz. Nun sitzt er vor einem Bildschirm, übersät mit Zahlen und Symbolen, dann gibt es zwei Reglerboxen links und rechts, ein Fußpedal und natürlich - ganz wichtig - die Maus. Karlheinz Essl hat die Möglichkeiten seines Musikinstruments selbst entwickelt und gestaltet. Er hat dem Instrument den Namen m@ze°2 gegeben - ein Akronym für "Modular Algorithmic Zound Environment".
Karlheinz Essl: "Das ist ein Apple Powerbook mit einer speziellen Software, die ich dafür geschrieben habe, die es mir erlaubt, im Moment Klänge zu generieren und auf Klänge von anderen Musikern zu reagieren. Diese Software basiert auf einer ganzen Datenbank von Klängen und Klangschnippseln, die ich in den letzten 10 Jahren gesammelt habe; sozusagen eine Palette von Farben. Und es gibt in dieser Software eine Anzahl kleiner "Assistenten" - Programm-Module, die besondere Fähigkeiten haben, musikalische Strukturen zu erzeugen. Diese sog. Strukturgeneratoren kann kann ich mit Hilfe meiner verschiedenen "Spieldevices" steuern und beeinflussen."
Doch m@ze°2 führt nicht nur aus, was von ihm gefordert wird. Das Musikinstrument stellt mitunter auch Aufgaben an seinen Spieler.
KHE: "Es gibt darin ein Textorakel (namens Playing Strategies), das in unregelmäßigen Abständen mir eine Art HAIKU auf den Bildschirm projiziert, eine Anweisung wie ich spielen soll. Allerdings sind das rätselhafte Anweisungen, die man nicht eins-zu-eins umsetzen kann, sondern wo man in dem Kontext in dem man sich jeweils befindet eine entsprechende Antwort oder Lösung finden muss. Das sind alles Methoden, die ich entwickelt habe, die mich selbst immer wieder irritieren und aushebeln sollen und mir dabei helfen, zu neuen Ideen und neuen Lösungen zu kommen."
Ein Textorakel war zum Beispiel der Ausgangspunkt für das Stück PRANK. Diese Improvisation entstand im Rahmen einer Serie von Lecture/Performances im Rahmen der Reihe :digital brainstorming in Bern.
KHE: "Es war eine sehr ruhige und entspannente Atmosphäre, die ich ein wenig brechen und aufdröseln wollte. Ich habe daraufhin eine eine wilde Noise-Improvisation gespielt, die aber angeregt worden ist von einer dieser Zufalls-Botschaften, die da am Bildschirm erschienen ist: "Destroy the Ambient". Und ich habe gedacht: OK, dem geb ich jetzt nach und laß mich da rein."
PRANK, performed by Karlheinz Essl
Kornhaus Bern, 14 Jan 2001
Das Herangehen an eine Soloimprovisation ohne Vorhaben oder Vorgaben, wie es bei dem ebengehörten Stück PRANK der Fall war, stellt eigentlich eine Ausnahme dar.
Karlheinz Essl und Boris S. Hauf
DEADTECH Gallery (Chicago 2000)
KHE: "Also mittlerweile mache ich mir viele Konzepte und überlege mir viel und übe bestimmte Situationen oder erarbeite etwas, wenn ich solo spiele. Wenn ich aber im Duo spiele, dann völlig ungeprobt und ohne Absprache. Weil dort reizt mich ja, was sich aus der kommunikativen Begegnung des Erstkontaktes heraus entwickelt. Das ist wie bei einem Blind-Date. Dort weiß man vorher auch nicht, wohin sich das entwickelt."
Eine der Duo-Improvisationen auf dem Album ©RUDE trägt den Namen "Voice tracking". Partner von Karlheinz Essl ist bei diesem Stück der Bläser und Sänger Bertl Mütter. Die Aufnahme dieser Improvisation entstand bei einem Konzert im November vergangenen Jahres in der "Sammlung Essl".
KHE: "Das ist überhaupt mein erstes Zusammenspiel mit Bertl Mütter und wir sind vorhin noch im Cafe gesessen und haben eine Zigarette geraucht und ein Bier getrunken, und dann sag ich zum Bertl: "Übrigens, wir spielen heute das erste Mal miteinander, was machen wir denn?" und er sagt: "Naja, lassen wir es drauf ankommen!" Das war die Vereinbarung. Und he rausgekommen ist etwas sehr Lustiges, weil der Bertl nicht seine Posaune (sein angestammtes Instrument) genommen hat, sondern mit seiner Stimme losgelegt hat. Ich habe in Blitzesschnelle aus meinem Instrument Stimmklänge aus dem Fundus hervorgekramt und in die Strukturgeneratoren eingespeißt und bin mit diesem Material eingestiegen. Oft weiß man garnicht, ob das der Bertl oder ich bin. Es hat sich dabei etwas sehr Interessantes ergeben, als der Bertl schließlich zur Posaune gewechselt hat: es entstand so eine schöne musikalische Form - völlig ungeplant. In diesem Stück gibt es keine Overdubs oder herausgeschnittenen Teile - alles erscheint so, wie es im Moment enstanden ist."
Bertl Mütter: Stimme und Posaune
Karlheinz Essl: m@ze°2
"Voice tracking" von und mit Bertl Mütter - Stimme und Posaune und Karlheinz Essl - m@ze°2. Wenn bei der ebengehörten Improvisation auch die von den Musikern jeweils freigesetzten Klänge sich sehr nahe gekommen sind, so hat doch jeder der beiden Künstler ausschließlich aus seinem eigenen Reservoire von Sounds geschöpft.
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Performance fLIGHT
Echoraum (Wien 1998)
KHE: "Es gibt eine bestimmte Methode von Live-Elektronischer Musik, die darin besteht , dass der Computermusiker seinen Partner während des Spiels aufnimmt und mit diesem Material weiterarbeitet. Das mache ich bewußt nicht, weil ich nicht in die Position eines Ausbeuters verfallen möchte, der etwas von einem anderen nimmt und dann deformiert und zerstört. Das ist eine Haltung, die mir persönlich nicht symphatisch ist, obwohl ich es anderen durchaus zugestehen kann. Ich arbeite genau so wie z.B. der Bertl Mütter: so wie er mit seiner Stimme und Posaune Klänge hervorbringt, so verfahre ich auch auf meinem Computerinstrument; d.h. ich habe mein Klangmaterial, meine "Stimmbänder", mein "Mundstück" etc. und setze aus diesen Komponenten im Moment Klänge in die Welt."
Das gemeinsame Improvisieren also als eine Art "blind date" - ohne Absprache und Proben, wo musikalische Verläufe aus dem Akt der unmittelbaren komunikativen Begegnung entstehen. Selbst für das Beenden einer Improvisation scheint eine Abmachung nicht von Nöten.
KHE: "Es ist die Erfahrung in der Regel, die Musiker immer genau wissen wann der Punkt erreicht ist. Ich hab nur ganz selten erlebt dass es da Missvrständnisse gab.
Wie sich so ein musikalisches Gespräch im Rahmen einer gemeinsamen Improvisation entwickelt, weiss man nicht. Ein Trio auf dem Album ©RUDE trägt den Namen "At the Edge". Der Titel deutet an, dass es sich beim Improvisieren durchaus um eine heikle Situation handelt. Die musikalischen Gesprächspartner von Karlheinz Essl sind bei dem Stück "At the Edge" der Saxophonist Boris Hauf und der Gitarrist Martin Siewert.
Raumsituation zu AT THE EDGE
Rotunde der Sammlung Essl (Klosterneuburg 1999)
KHE: "Es war ein ziemlich langes Stück, das wir gespielt haben. Was auf der Platte ist, das sind zwei Phasen gegen Ende des Konzertes. Es beginnt so schön ruhig, fast ambient-artig, ganz leise feine Klänge. Der Boris macht ein paar Plopps und Schmatzer auf dem Saxophon und dann entwickelt sich schön langsam über einen komischverqueren Loop, die ich eingebracht habe, eine Verdichtung, die sich am Schluß fulminant steigert. Reinhard Kager schreibt darüber im Booklet der CD: "Dagegen klingt eine Free-Jazz-Improvsation wie ein Wiegenlied". Das hat mir sehr gefallen, das trifft es irgendwie, es war total entfesselt.
Das war eine richtige Gratwanderung, wie es der Titel des Stücks auch ausdrückt. Es besteht immer die Gefahr des Absturzes. Es war ein Spiel ohne Netz... Besonders wenn man so leise zu spielen bginnt, besteht immer die Gefahr, dass man in diesem Zustand verharrt und sich drinnen saumäßig wohlfühlt. Um dem entgegenzusteuern gibt es ständig die Tendenz, da auszubrechen. Aber diese Ausbruchstendenz sind immer gefährlich, weil man nie weiß wie weit man deb anderen Musik damit verletzt oder stört. Man riskiert etwas und hofft, dass der andere da mitmacht oder vielleicht dagegen anspielt. So entstehen unglaublich spannungsvolle Konfliktsituaionen, die dann letztlich das Stück zu dem werden ließen, was es ist. Wo dann schließlich alle mitgegangen, woraus sich dann ungeheuere Energie entwickelt hat."
Boris S. Hauf: Saxophon
Martin Siewert: E-Gitarre und Electronics
Karlheinz Essl: m@ze°2
Komponieren und Improvisieren - beide Wege beschreitet Karlheinz Essl nachwievor um Musik zu schaffen. Durch welche Qualitäten zeichnen sich nun für ihn diese unterschiedlichen Methoden aus?
KHE: "Das was mich am Komponieren interessiert ist die Möglichkeit, ein abgerenztes Stück zu schaffen, das in jedem Detail durchdacht, durchgehört und durchgestaltet ist. Ein Stück, das in einem irrsinng langen Arbeitsprozess entsteht, der über Monate geht, wobei man sich ständig außerhalb der Eigenzeit des Stückes befindet, es fortwährend abstrahiert und reflektiert und seine Erfahrungen einbringt.Weil man sich außerhalb der Eigenzeit befindet, läßt sich eine unglaublich Dichte, Komplexität und Ausdruckskraft in ein Komposition hineinzuformen. Das interessiert mich nach wie vor und deswegen ist für mich Komposition immer noch ein Thema: Ich habe unlängst mein drittes Streichquartett geschrieben [upward, behind the onstreaming it mooned], das sich sich von den anderen beiden ganz stark unterschiedet.
Was mich an Improvisation fesselt ist vor allem die Magie des Augenblicks. Dass sich auf Grund einer Situation, die durch den Raumes, das Publikums und den beteiligten Musikern definiert ist, im Moment etwas entsteht, was man vorher nicht wissen kann. Wie ein Zusammentreffen von Leuten, die sich nicht kennen, die miteinander ein Gespräch beginnen, dessen Ausgang völlig ungewiss ist. Spannend wird es für mich, wenn man öffentlich passiert, vor Publikum - dazu muß ich anmerken, dass ich ausschließlich vor Publikum spiele, und nie im stillen Kämmerlein eines Tonstudions. Das Publikum wird mit einer völlig anderen Situation konfrontiert, als wenn es ein komponiertes Stück hört, das der Autor in monatelanger Arbeit in jedem Detail durchgearbeitet und gehört hat. Das Pubilkum wird Zeuge eines Entstehungsprozesse und seiner Veränderung und Entwicklung. Und ich denke, dass dies auch eine sehr spannende Hörerfahrung sein kann; eine bestimmte Art von Unmittelbarkeit, die aber nicht trivial ist; eine Komplexität, die sich unmittelbar an ein Gegenüber wendet. Das sich von einer bestimmten Hermetik (die man durchaus auch lieben kann) abwendet und sich dem Menschen zuwendet."
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Performance fLÜSTERN
Schwimmbad der Sargfabrik (Wien 1999)
Das Album ©RUDE enthält neben den insgesamt sechs improvisierten Stücken auch eine Komposition. REPLAY PLAYER ist das Name des Stücks, das auf eine Produktion für die Sendereihe "Kunstradio" zurückgeht. Ausgangspunkt für diese Produktion war eine Sammlung von Klangmaterial. Dieses wurde mittels eines von Karlheinz Essl entwickelten Programmes zunächst dekonstriert und dann zu neuen Klangstrukturen formiert.
KHE: "Bei diesem Stück habe ich mit Fundmaterialien gearbeitet, die nicht sonderlich interessant waren, aber gewissen Haltungen und historische Positionen aus der Klangkunst der 60er und 70er Jahre repräsentieren. Ich habe zunächste eine "Maschine" konstruiert, die auf diesem Materialfundus aufsetzt und daraus neue Gestalten entwickelt: aus kurzen Klangstücklein von beschränkter Dauer werden unendlichen lange Klangstrukturen erzeugt. Man muss sich vorstellen, die Klänge werden faschiert und dann mit Gewürzen, Eiern und Semmelbröseln vermengt, und daraus werden dann Cevapcici, Hamburger und Falscher Hase geformt. Diese Teile werden Gekocht, gebraten, gegrillt, gedämpft etc. Das Fleisch ist zwar immmer die Grundlage, aber es ist total deformiert und überformt und schmeckt dadurch immer anders."
Das Stück durchläuft einen fünfphasigen Prozess. Klänge entwickeln sich von einem völlig amorphen Anfangszustand über mehrere Stufen bis hin zu einer derartigen Ordnung, die das repräsentiert, was hinlänglich als Musik bezeichnet wird. Das auf der CD ©RUDE enthaltene Stück REPLAY PLAYER besitzt das Formkonzept der Radioproduktion, allerdings wurde dieses komprimiert. Das ursprünglich dreiviertelstündige Radiostück wurde auf eine Dauer von 13 Minuten gestaucht. Diese Version entstand für die Aufführung bei einem Musikfestival für elektronische Musik in Florida. Für diese Aufführung hat übrigens Karlheinz Essl seine Komposition einstudiert und im Rahmen des Konzertes auswendig vorgespielt. Der Mitschnitt dieser Aufführung ist auf der CD ©RUDE zu hören.
Karlheinz Essl: m@ze°2
Die heutige Ausgabe der Sendereihe "Zeit-Ton" war der neuesten CD von Karlheinz Essl gewidmet. ©RUDE ist der Titel des Albums, das bei "Lotus-Records" erschienen ist.
© by Österreichischer Rundfunk / Ursula Strubinsky (2001)
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Updated: 3 Feb 2023