2020
Unter dem Schlagwort Sounddramaturgien befassen wir uns mit raumakustischen Phänomenen und 3D-Audiotechniken im künstlerischen Kontext. (…) In dieser Sendung befragen wir die Wechselwirkung vom architektonischen Raum und der Musik, die darin stattfindet. Diese Wechselwirkung machen wir am Begriff des Hallraums fest. Dafür sprechen wir mit einem Akustiker, einem Toningenieur und einem Komponisten darüber, mit welchen Strategien die natürlich Akustik eines Aufführungsraumes modifiziert, nivelliert oder in einen fremden architektonischen Raum übertragen werden kann. (…)Nicht alle Musik funktioniert in allen Räumen gleich gut. Deshalb fragen wir uns: Wie wirkt sich der Hallraum auf die Musik aus, die in ihm stattfindet? Welche dramaturgisch-erzählerische Funktion kann der Hallraum mit seinen akustischen Merkmalen einnehmen?
Kommen wir zu einem weiteren Beispiel, das den Hallraum ganz grundlegend in die Komposition einbezieht. Bezeichnenderweise hat der Komponist Karlheinz Essl dies in der Besetzungsangabe seines Orchesterwerks mit dem Titel Intervention ganz konkret benannt: „für vier im Raum verteilte Orchestergruppen und Hallraum oder Live-Elektronik”. Essls Orchesterwerk ist 1995 beauftragt worden für einen Festakt in der Säulenhalle des Österreichischen Parlaments.
Intervention gespielt vom ensemble xx. jahrhundert (Dir. Peter Burwik)
Säulenhalle des Österreichischen Parlaments in Wien (22 Jan 2006)
Julian Kämper: Schön, dass wir uns hier über Videochat unterhalten können! Man hat sie beauftragt Musik für einen konkreten Raum zu schreiben; man hat aber auch direkt darauf hingewiesen, dass dieser Raum akustisch sehr problematisch sei.
Karlheinz Essl: Wie ich von dieser Säulenhalle mit ihrem unglaublichen Hall gehört habe, bin ich sehr hellhörig geworden. Ich dachte mir, dass man genau dafür ein Stück schreiben müsste, das mit diesen akustischen Gegebenheiten operiert. Ich musste natürlich zuerst die Akustik ausprobieren. Die Säulenhalle des Parlaments ist ein neoklassizistischer Bau und wirkt wie die griechische Akropolis: unglaublich hoch, gestützt von Marmorsäulen. Und da ist mir klar geworden, dass ich in den vier Raumecken Orchestergruppen platzieren möchte, die alle gleich besetzt sind. Also ein großes Ensemble, das um das Publikum herum positioniert ist. Der Raum mit seiner unglaublichen Nachhallzeit von 10 Sekunden hat natürlich dann akustische und musikalische Konsequenzen: jeder Akzent, den man setzt, bleibt unglaublich lange stehen. Jede Linie wird zur Fläche.
JK: Was waren denn die akustischen Besonderheiten dieser Marmorhalle?
KHE: Das hängt sehr von den Klangquellen ab. Das Stück beginnt mit ganz tiefen Klängen, die nicht ortbar sind aufgrund ihrer spektralen Verteilung und der Tiefe. Sie füllen den Raum gänzlich aus und man kann nicht hören, wo sie herkommen. Die hohen Klänge jedoch, vor allem das Schlagzeug mit seinen hellen Rasseln, kann man besser orten. Trotzdem ensteht immer eine Art Klangnebel, der dem Ganzen wie eine Spur folgt. Diese extreme Akustik hängt mit der Oberfläche - Marmor - zusammen: schallhart reflektierende Wände.
JK: Wie haben Sie denn kompositorisch auf den Hallraum reagiert? Welche musikalischen und aufführungsspezifischen Konsequenzen hatte das?
KHE: Es sind wenig Aktionen - klar gesetzte Texturen, Akzente oder Klangflächen, die zwischen den Orchestergruppen hin- und herwandern. Ich habe dabei mit seriellen Ideen gearbeitet, mit Zeitgestaltungen und Zeitverläufen mit Beschleunigungs- und Verlangsamungsfunktionen, die so strukturiert sind, dass sie die einzelnen Gruppen an bestimmten Punkten zusammentreffen. Wie Wellen mit unterschiedlichen Wellenlängen, die an einem Punkt zusammenfallen. Es gibt in dem Stück manchmal diese großen Akzente, wenn alle Gruppen auf einen Punkt zulaufen und schließlich eine großen „Knall” produzieren.
Es kam anders: 1995 wurde das Österreichische Parlament aufgelöst; an einen Festakt war in diesem Zuge nicht zu denken. Das Stück kam in der Säulenhalle des Parlaments vorerst nicht zur Aufführung. Stattdessen aber im Wiener Konzerthaus, dessen Raumakustik mit Hilfe eines Mehrkanal-Lautsprechersystems modifiziert und an die charakteristische Akustik des Säulenhalle angeglichen worden ist.
KHE: Auf der Bühne saßen ich zusammen mit zwei Tontechnikern des ORF (Anton Reininger, Karl Petermichl). Während des Konzerts haben wird den Hallraum bzw. die Live-Elektronik gesteuert. Und hatten es wirklich geschafft, den Eindruck zu erwecken, als würden wir jetzt im Parlament sein.
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Updated: 9 Dec 2020