Christian Lerch
Der Komponist Karlheinz Essl unterrichtet Komposition an der Musikuniversität in Wien. Er beschreibt seine Definition des Wortes "Spielen":
Karlheinz Essl: Spielen hat auch etwas damit zu tun, sich in einen anderen Zustand hineinzuversetzen. Das heißt, rauszukommen aus dem, womit man ständig arbeitet, dass man aus seinen ausgefahrenen Geleisen ausbricht und sich auf ein Terrain begibt, das man vielleicht noch nicht kennt, wo man sich verliert und dabei etwas Neues entdeckt - und dabei auch sich selbst neu entdeckt.Das Spielen ist dadurch gekennzeichnet, dass es keinem Produktionszwang unterliegt - es muss nirgendwo hingehen. Es ist reines Tun um seiner Selbst willen. Das klingt vielleicht ein bisschen beliebig; aber ich glaube, dass in dem Spielen eine unglaubliche Energie und Kraft steckt, die es einem ermöglicht, Räume aufzusuchen und Erfahrungen zu machen, die man durch andere Formen der Arbeit - durch Denkarbeit, durch strukturelle Arbeit - möglicherweise nicht machen kann.
Können Kinderspielzeuge auch Musikinstrumente sein? Oder untergräbt das die Würde der komplexen Musikwelten? Spielen und musizieren ist für Karlheinz Essl ein Synonym. Für ihn als Komponisten bedeutet es, Experimentfelder zu schaffen. - Karlheinz Essl schildert seine musikalische Sozialisation:
Karlheinz Essl: Soweit ich ich erinnern kann, war mein erstes Instrument ein schwarzes Möbelstück, das ich unglaublich gehasst habe, aber relativ lange bedient habe. Später habe ich dann dieses schwarze Möbelstück gegen ein rotes Möbelstück mit sechs Saiten und einem Tonabnehmer eingetauscht; habe dann lange Zeit gemeinsam mit Freunden Rockmusik gemacht. Im Zuge meines späteren Musikstudiums habe ich dann wieder dieses schwarze Instrument - das Klavier - zur Brust nehmen müssen, und bin dann aber auch zum Kontrabass gekommen, den ich sogar im Konzertfach studiert habe. Später habe ich alle diese Instrumente wieder verloren. Ich habe mich völlig auf's Komponieren konzentriert, auf das Schreiben von Partituren. Erst in den 1990er Jahren habe ich im Zuge meiner Beschäftigung mit elektronischer Musik und Computern begonnen, mir ein neues Instrument zu bauen, das nun nichts mit akustischen Instrumenten zu tun hat, sondern viel eher mit Software.
Obwohl Karlheinz Essl Computertechnologie und mathematische Methoden für seine Kompositionen verwendet, würde er seine Musik nicht als eine abstrakte bezeichnen. Es geht ihm mit seine Musik darum, Menschen zu berühren. Für die Pianistin Isabel Ettenauer schrieb Karlheinz Essl die Komposition Kalimba für Toy Piano und CD-Zuspielung. Bei der "Extended Toy Piano Composition Competition" der Clarke University wurde das Stück 2005 mit einem Preis ausgezeichnet. Der Komponist erklärt, wie das Stück zu seinem Titel kam:
Karlheinz Essl: Das afrikanische Kalimba (auch Mbira genannt) ist ein diatonisches Instrument. Ich habe mein Stück erst nachträglich "Kalimba" genannt, weil der Klang des Toy Pianos überhaupt nichts mit einem Klavier zu tun hat, sondern eher wie dieses afrikanische Instrument klingt.Das Besondere bei den Kalimbas ist, dass sie immer von mehreren Leuten zusammen gespielt werden, in einer sehr dichten Polyphonie. Durch die Überlagerung rhythmischer Patterns entstehen neue Klangstrukturen, die nicht bloß die Summe dessen sind, was die Musiker spielen. Dies ist ein musikalisches Phänomen, das die Bezeichung inherent patterns trägt. Diese wurde von dem Wiener Musikwissenschaftler Gerhard Kubik erforscht - und György Ligeti hat sich auch darauf berufen.
In meinem Stück passiert genau das Gleiche: Durch die CD-Zuspielung mit seinen Überlagerung von Figuren, die aus dem Toy Piano stammen, entstehen diese inherent patterns - ähnlich wie in der zentralafrikanischen Kalimba-Musik. Und deswegen habe ich mein Stück dann auch so genannt.
Radiokolleg: Spielzeug- und Chipmusic 4-teilige Sendereihe von Hans Groiss Ö1, 3.-7.12.2007 |
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Updated: 7 Jan 2018