Eine utopische Vision, die mich seit vielen Jahren begleitet: Musik, die sich im Augenblick ihres Erklingens wie von selbst (autopoiëtisch) komponiert und nicht bloß Realisation eines ausformulierten Notentextes ist. Eine adaptive Musik, die auf äußere Einflüsse zu reagieren vermag und in ihrer zeitlichen Ausdehnung potentiell unendlich ist, ohne sich je zu wiederholen.
Erste Schritte zur Verwirklichung dieses Traumes ergaben sich 1992/93 am Pariser IRCAM, wo ich an einem Kompositionsauftrag arbeitete. Als ich dort mit der Programmiersprache Max (eine für Echtzeitsprozesse konzipierte Entwicklungsumgebung) zu arbeiten begann, erkannte ich bald, daß ich mit diesem Werkzeug meine noch uneingelösten Vorstellungen realisieren könnte.
Darauf entstand - als work-in-progress - die Lexikon-Sonate (1992 ff.) für computergesteuertes Klavier. Kein vorgefertigter Notentext repräsentiert das hier Stück, und kein Pianist interpretiert diesen: beide Aspekte werden von einem Computerprogramm wahrgenommen, das das Stück in Echtzeit aufgrund äußerer Einflußnahmen "interaktiv" generiert und es zugleich auf einem speziellen Computerflügel (wie dem Bösendorfer SE Grand Piano) spielt.
Anfang 1996 begann ich mit dem Projekt Amazing Maze, das ursprünglich als interaktive Musikinstallation konzipierte wurde. Im Unterschied zur klaviergesättigten Lexikon-Sonate steht hier der Klang in seinen verschiedenartigen Dimensionen im Vordergrund. Dieser setzt sich aus kleinsten Einheiten (sog. "Klangpartikeln") zusammen, die aus unzähligen Instrumentalaufnahmen extrahiert wurden. Dabei richtete ich mein Augenmerk besonders auf die "offenen" Klangbereiche jenseits des instrumentalen Wohlklangs, den Abfallprodukten der Klangerzeugung: rudimentäre Klangsplitter, offen für vielfältige Manipulationen, die im Moment ihres Zusammentreffens zu neuartigen Klängen und Strukturen verschmelzen oder sich auch abstoßen können. Darin sollte die sich für mich so wichtige Auffassung vom "Klang als Prozeß" manifestieren.
Ohne meine Einflußnahme nahm die weitere Entwicklung von Amazing Maze eine ungeahnte Wendung. Ich hatte es in Form eines Computerprogramms für das NEMO '96 Festival in Chicago eingereicht. Dessen Kurator, der Komponist R. Albert Falesch, reagierte in berührender Weise, indem er mir anbot, die Komposition selbst zur Uraufführung zu bringen. Er sah in darin nicht nur eine Musikinstallation, sondern vielmehr ein Instrument, mit dem sich - zusammen mit Live-Instrumentalisten - musizieren ließ. Dies bot den Anstoß für eine Kette von spannenden Metamorphosen: in einem intensiven (über E-Mail ausgetragenen) Diskurs entwickelten wir gemeinsame Strategien zur Aufführung, was schließlich in der konzeptionellen Beschreibung eines dramaturgischen Verlaufs gipfelte. In dieser Form wurde es am 9. Mai 1996 zusammen mit dem Baßklarinettisten Gene Coleman aus der Taufe gehoben.
In der Folge veröffentlichte ich das Stück im Internet und kam dadurch in Kontakt mit dem amerikanischen Cellisten Jeffrey Krieger. In seinen Soloperformances verwendet er ein eigens für ihn gebautes elektrisches Cello, mit Hilfe dessen er in Zwiesprache mit dem Computerprogramm treten wollte. Das führte neben einschneidenden strukturellen Veränderung auch zu einer Erweiterung des Klangmaterials: gemäß meinen Angaben nahm Krieger einen ganzen Katalog von Celloklängen auf, der in das Programm integriert wurde.
Die Form, in der sich Amazing Maze an diesem heutigen Abend präsentiert, verdankt sich der Zusammenarbeit mit der Perkussionistin Elisabeth Flunger. Ursprünglich als klangliche Erweiterung des Schlagzeuges gedacht, führte die dem Stück innewohnende Eigendynamik aber in eine andere Richtung: ein äußerst flexibles elektronisches Instrument entstand, als Partner für improvisatorische Experimente.
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Updated: 7 Jan 2018