Portrait
Karlheinz Essl

Zufall und Notwendigkeit.

Anmerkungen zu Gottfried Michael Koenigs Streichquartett 1959
vor dem Hintergrund seiner kompositionstheoretischen Untersuchungen

1989


Vor 25 Jahren veränderte die Begegnung mit Gottfried Michael Koenigs Streichquartett 1959 mein musikalisches Weltbild. Fasziniert von diesem fremden, irgendwie aber auch vertraut wirkenden Werk wandte ich mich hilfesuchend an den Komponisten. Denn mit meinem analytischen Instrumentarium, das an Webern geschärft war, kam ich hier nicht weiter. In einem langen Briefwechsel gewährte mir Koenig tiefe Einblicke in sein kompositorisches Denken, das Ernst machte mit der radikalen Forderung nach einer Musik, die sich weder auf historische Modelle noch auf klangliche Vorstellungen stützt, sondern gleichsam synthetisch aus der Kraft der Konstruktion erwächst. Paradoxerweise war es aber zunächst gerade jener "musikantische" Aspekt, der mich an Koenigs Streichquartett faszinierte, auch wenn sich dieser - "malgré lui" - aufgrund klug disponierter Algorithmen ergab. Die Dialektik zwischen Zufall und Notwendigkeit wird hier mit höchster Kunstfertigkeit zelebriert und darüber hinaus zu einem Modell dafür, was Musik sein kann: klanggewordene Utopie aus dem Geist der Abstraktion.

Karlheinz Essl: A Garland to Koenig. Zu Gottfried Michael Koenigs 85. Geburtstag (2011)


Musik-Konzepte Bd. 66: Gottfried Michael Koenig  

Abstract

Anhand der Rekonstruktion von Koenigs Streichquartett 1959 wird die Funktion des Zufalls im Kompositionsprozeß untersucht. Im seriellen Denken Koenigs spielt der Zufall die Rolle eines Varianzfaktors, der innerhalb von Möglichkeitsfeldern, die durch eine "Strukturformel" beschrieben werden, intersubjektive Entscheidungen trifft. Determiniertes und Indeterminiertes werden nicht länger als Gegensätze betrachtet, sondern als Extremwerte von vermittelbaren Ordnungsgraden. Dadurch wird das serielle Permutationsprinzip verallgemeinert und das Reihenprinzip überwunden. Diese Denkweise findet in computerunterstützten Kompositionsverfahren ("Computer Aided Composition"), die Koenig im Anschluß daran entwickelt hatte, ihre konsequente Weiterführung.


Zu Gottfried Michael Koenig's Kompositionstheorie

Auszug aus dem 2. Kapitel


Inhalt


... Wie die Zeit vergeht ...

Koenigs kompositorisches Denken nimmt seinen Ausgangspunkt in der Vorstellung von der "Einheit der musikalischen Zeit", die Stockhausen in der Abhandlung ...wie die Zeit vergeht... [1] proklamiert hatte. Die Formulierung dieser These entstand während der Zusammenarbeit zwischen Stockhausen und Koenig im Elektronischen Studio des Westdeutschen Rundfunks. Gegenüber ihren Kritikern - allen voran der Physiker Adrian Fokker - wurde sie von Koenig auf's Schärfste verteidigt [2].

Besagte Theorie möchte aufzeigen, daß man es in der Musik primär mit zeitlichen Prozessen zu tun hat. Die Bestimmungsgrößen des Tones - seine Höhe, Dauer und Klangfarbe - lassen sich als Funktionen der Zeit beschreiben: die Frequenz als Anzahl der Grundtonschwingungen pro Sekunde, die Dauer als zeitliche Ausdehnung, zuletzt die Farbe als Überlagerung von Obertönen und Spektren in der Zeit. Wenngleich es sich dabei um unterschiedliche Wahrnehmungsbereiche handelt, drücken sich in ihnen zeitliche Vorgänge in den verschiedenen Wirkungsebenen der Zeit aus. Farbe und Tonhöhe sind im Bereich der "Mikro-Zeit" angesiedelt, während sich die Aspekte von Rhythmus und Form in der "Makro-Zeit" abspielen. Koenig zufolge wären zum Beispiel "fünf Minuten - eine Formeinheit, fünf Sekunden - eine Tondauer, eine fünftel Sekunde - eine rhythmische Größe, eine fünfhundertstel Sekunde - daß Maß für eine Tonhöhe" [3].

Die Grenzen dieser Zeitbereiche sind jedoch nicht hermetisch gegeneinander abgeriegelt, sondern permeabel. So können qualitativ unterschiedliche Parameter - etwa Rhythmus und Tonhöhe - unmerklich ineinander übergehen. Nimmt man einen Pingpong-Ball und läßt diesen auf eine Tischplatte fallen, so wird der Abstand seiner Prallimpulse kontinuierlich kleiner, bis aus einer raschen, sich beschleunigenden Pulsation plötzlich ein Tonhöheneindruck entsteht. Dieser Effekt tritt in dem Moment ein, wo unsere auditive Wahrnehmung den Unterschied zwischen zwei Ereignissen nicht mehr aufzulösen imstande ist, etwa im Bereich 1/20 Sekunde. Zugleich entspricht dieser Wert der unteren Begrenzung des Hörbereiches - also einer Frequenz von ungefähr 20 Hertz. Werden hingegen nicht Impulse beschleunigt, sondern eine genügend große Anzahl rhythmisierter Klangschichten miteinander überlagert (wie dies im elektronischen Studio mit dem synchronen Abspielen vorgefertigter Tonbandschleifen einfach zu bewerkstelligen ist), so werden die einzelnen rhythmischen Vorgänge nicht mehr als solche erlebt, sondern schlagen um in eine neue Qualität: die Bewegungsfarbe. Klang als solcher ist nun selbst komponierbar geworden und nicht länger bloß Mittel zur Darstellung der Komposition. Diese Erfahrungen, die Ligeti im Kölner Elektronischen Studio während seiner Zusammenarbeit mit Koenig gewonnen hatte, auf die Instrumentalmusik angewendet, führten zur Konzeption und Ausarbeitung der späterhin so genannten "Klangflächenkompositionen", wie sie in den Orchesterwerken Apparitions (1958/59) und Atmosphères (1961) erstmals realisiert wurden [4].

Wenn sich nun Rhythmus, Tonhöhe und Klangfarbe als Funktionen der Zeit darstellen, die in ihren verschiedenen Bereichen angesiedelt sind und ineinander übergehen können, so verlangt dies eine kompositionstechnischen Vereinheitlichung der Parameterbehandlung. Die Ansätze, die im Bereich der Tonhöhen ("Mikrozeit") gelten, haben auch auf dem Gebiet der Dauern ("Makrozeit") ihre Berechtigung. So lassen sich - ebenso wie Tonhöhen - auch Zeitwerte in "Zeitoktaven" zusammenfassen. Die Oktave, als Verhältnis von 2 : 1 definiert, wird im temperierten chromatischen Tonsystem in 12 gleich groß empfundene Glieder unterteilt. Die Relation zwischen zwei Halbtönen ist immer konstant und wird durch den "Proportionalitätsfaktor" ausgedrückt; die 12. Wurzel aus 2.

Auf gleiche Weise läßt sich eine "chromatisch temperierte Skala der Dauern" [5] konstruieren. Die Dauer kann im herkömmlichen Notationssystem indes nur metronomisch bezeichnet werden, wobei die metrische Bezugseinheit (= der Grundzeitwert: zum Beispiel die ganze Note) durch Tempoangaben differenziert wird. In Stockhausens Beispiel wird eine Dauernskala im Bereich zwischen einer und einer halben Sekunde (einer "Dauernoktav" also) konstruiert, wobei folgende Metronomzahlen, bezogen auf die ganze Note, auftreten:

             MM = 60.0           MM =  84.9
                = 63.6              =  89.9
                = 67.3              =  95.2
                = 71.4              = 100.9
                = 75.6              = 106.9 
                = 80.1              = 113.3
          
Die nächste Dauernoktave liegt im Bereich einer halben und einer viertel Sekunde, also zwischen MM = 120 und MM = 226. Diese läßt sich aber ebenso durch den Wechsel der metrischen Bezugseinheit, des Grundzeitwertes, erreichen. Statt einer ganzen Note steht nun die Halbe, in der folgenden Zeitoktave die Viertel etc. etc.

In Analogie zum Obertonspektrum werden nun die Grundzeitwerte im Verhältnis

1 : 2 : 3 : 4 : 5 ...... 10 : 11 : 12

harmonisch geteilt [6]. Die einzelnen Komponenten des so erhaltenen "Phasenspektrums" werden als Formanten bezeichnet. Ist der Grundzeitwert ein Viertel, ergibt dies eine Skala aus Viertel, Achtel, Triole, Sechzehntel, Quintole bis zur Dezimole, Undezimole und Duodezimole.

So lassen sich Zeitoktaven, deren rhythmische Bezugseinheit im Sinne von Formanten unterteilt wird, seriell vordisponieren. Diese bestimmen die durchschnittliche Dichte innerhalb eines Tempoabschnittes, wodurch sich folgende Beziehung ergibt:

"Dauer" ---> Metronom-Tempo ---> Dichte

Dabei ist jedoch zu beobachten, daß das Verhältnis zwischen Dauer (= Tempo) und rhythmischer Artikulation dynamisch ist und Gegenkräfte auftreten, die zu rhythmisch vieldeutigen Situationen führen können. So entspricht die zeitliche Ausdehnung einer Viertel im Tempo MM = 60 einer Halben in Tempo MM = 120; eine Gruppierung von Achteltriolen kann durch Formant 3 in der "unteren" Zeitoktave enstehen, ebenso mittels Formant 6 in der nächstfolgenden.

Für eine zwölffache Unterteilung von "Dauernoktaven" und Grundzeitwerten besteht freilich keine zwingende Notwendigkeit. Die Zwölfteiligkeit, als unserem westlichen Tonsystem historisch vermittelt, hat allein dort ihre Berechtigung. Diese Verhältnisse jedoch auf die übrigen Parameter zu übertragen, ist daraus nicht zu rechtfertigen, selbst wenn erkannt wurde, daß die Bildungsprinzipien der Tonhöhenreihe auch für andere Zeitfunktionen Geltung besitzen.


System versus Theorie

Bei der Komposition der Gruppen für drei Orchester (1955-57) war es Stockhausens Absicht, aus den Proportionen einer Tonhöhenreihe Strukturen und Form der ganzen Komposition abzuleiten [7]. Solche monolithischen Konstruktionen mögen zwar zu bewundern sein, schmälern aber den universellen Anspruch einer Theorie. Dieser wurde von Stockhausen auch nie angestrebt. Ihm ging es offensichtlich darum, aus einer ästhetisch unbefriedigenden kompositorischen Situation auszubrechen und dafür Systeme zu entwerfen, die dies ermöglichen sollten. So gibt es bei ihm kaum echte Verallgemeinerungen, die erst den umfassenden Wert einer Theorie ausmachen. Seine Überlegungen betreffen zumeist partikuläre Lösungen für einen Spezialfall, und versagen sich so den Anspruch auf Verbindlichkeit und Allgemeingültigkeit. Anläßlich eines im Jahre 1977 geführten Gespräches mit Christoph von Blumröder hat Stockhausen dies auch selbst bezeugt: "Im ersten Band [meiner Schriften] stehen mehrere Texte über meine Werke, wie zum Beispiel GRUPPEN für drei Orchester (...), die ich so allgemein formuliert habe, als handle es sich um Versuche, die Kompositionstechnik unabhängig von ihrer Anwendung in einzelnen Werken als Entdeckung anderen mitzuteilen. Ich denke vor allem an den Text ...wie die Zeit vergeht... Viele haben nicht erkannt, daß es sich da um eine ganz konkrete Mitteilung über die Komposition der GRUPPEN für drei Orchester (...) handelt" [8].

Während Stockhausen die serielle Methode als Mittel zum konkreten Zweck verwendet und sie immer dann erweitert oder angepaßt hat, wenn der Zweck es verlangte, sind Koenigs theoretische Einsichten frei von Zweckmäßigkeitsüberlegungen dieser Art. Das bedeutet nun keinesfalls, daß Koenig an der Musik vorbeitheoretisiert. Ihm geht es in erster Linie um die allgemeine Formulierungen musikalischer Sachverhalte, in denen das Besondere im Allgemeinen aufgehoben erscheint. Mit ihrer Hilfe lassen sich musikalische Wirklichkeiten gleichermaßen analysieren und synthetisieren. Im Unterschied zum System erweist sich die Theorie als "offen", da sie nicht auf einen Spezialfall zurechtgeschneidert ist, sondern eine Vielfalt möglicher Systeme beschreiben kann.


2. Erweiterung und Sprengung der seriellen Technik


Musik und Zahl

"Rhythmus" als Artikulierung musikalischer Vorgänge in der Zeit entsteht als Ergebnis einer komplexen Überlagerung und In- Beziehung-Setzung von Tempi (= "Dauern") und Formanten. Das Medium dieses Prozesses ist nun die Reihe selbst, welche die Abfolge derselben steuert. Hier erzwingt ihre fortwährende Permutation (deren Programm wiederum aus der Ausgangsreihe extrahiert wird) die Entstehung ständig neuer rhythmischer Ergebnisse. Um dies zu bewirken, muß die Reihe durch eine Zahlenfolge substituiert werden, da sie sonst nicht permutiert werden kann. Die als Zahlenfolge übersetzte Reihe läßt sich beliebig manipulieren; die daraus resultierenden numerischen Konstellationen stehen nun jeder Interpretation offen. Kompositionstechnisch wird es dadurch überhaupt erst möglich, Tonhöhen- und Dauernreihen miteinander in Beziehung zu setzen bzw. aus einer Grundreihe alle weiteren Parameterserien abzuleiten. Die Reihe wird nun nicht mehr im mathematischen Sinne d.h. als Bezeichnung von Verhältnisgrößen verwendet, sondern zur Bezeichnung der Reihenfolge. Damit wird der serielle Reihenbegriff erweitert und gesprengt zugleich: anstelle der Reihe tritt nun die Reihenfolge, deren einzelne Glieder Indizes darstellen, die auf eine Materialliste verweisen. Diese beinhaltet alle möglichen Werte, die ein Parameter annehmen kann. Da ihre Werte dort in Form einer Skala - also nach ihrer Größe geordnet - auftreten, behält die Materialliste noch Relikte aus ihrer ursprünglichen Funktion, Verhältnisgrößen auszudrücken: die Nummerierung ihrer Teilwerte entspricht gleichzeitig ihrem Größenverhältnis.
       Materialliste [C C# D D# E  F F# G G# A B H]

       Reihenfolge   [2 10 3 12 11 1 7  5 6  9 4 8]
       _____________________________________________ 
              
       Resultat:     [C# A D H A# C F# E F G# D# G]
       
Die Zahl wird also zum Abbild von Teilaspekten der musikalischen Wirklichkeit, wodurch diese beherrschbar und von Rationalität durchdrungen wird [9]. Sie selbst tritt nur in einer kompositorischen Zwischenebene in Erscheinung: dort, wo sie zur Zahlenstruktur verarbeitet wird. Sie dient lediglich zur Beschreibung und Darstellung musikalischer Gegebenheiten. Niemals aber verweist sie auf sich selbst etwa im Sinne eines kabbalistischen Symbols. Dies geschieht in der - asketischen - Absicht, "ganz aus Amorphem die Individualität zu konstruieren" [10]; ein Vorgang, der sich schematisch etwa so darstellen läßt:

      "Wirklichkeit"                 "Wirklichkeit"


      (Geschichte, Stil, Erfahrung)    (die fertige Komposition)

       
            ANALYSE                           SYNTHESE

              |                                  ^  
              |                                  |
 Übersetzung  |                                  |  Interpretation 
              |                                  |
              |                                  |
              v                                  |  

                        Verarbeitung 
            Zahl -------------------------> Zahlenstruktur
                        Berechnung   

Durch diesen hohen Grad der Abstraktion ist gewährleistet, daß - wenngleich primär Zeitvorgänge gestaltet werden - man sich in einem kompositorischen Bereich außerhalb der realen Zeit befindet. Komposition findet dort auf einer abstrakten, numerischen Meta-Ebene statt, die erst in einem weiteren Arbeitsgang - der Interpretation - wieder in die Bereich der Notation und damit in den der musikalischen Wirklichkeit zurückübersetzt wird. Wie in der folgenden Analyse von Koenigs Streichquartett 1959 gezeigt werden soll, fordern die auf einer numerischen Zwischenebene ausgearbeiteten musikalischen Daten zu einer Interpretation heraus, die jedoch kontextabhängig erfolgt, und so - fernab von jeglichem starren Automatismus - der Verantwortung des Komponisten obliegt.

Die Enstehung dieser Konzeption von Musik und Zahl ist auf die Erfahrungen im Elektronischen Studio zurückzuführen. Dort, wo die Ebene der musikalischen Notation überhaupt wegfällt, wird die numerische Übersetzung kompositorischer Daten und Vorgänge zu einer unabdingbaren Forderung bei der Realisierung elektronischer Musik. Die Notwendigkeit der Abstraktion ergibt sich zudem aus den Gegebenheiten des Studios, wo man es mit technischen Apparaturen zu tun hat, deren - durch Regler - veränderbare Größen den Parametern entsprechen. Die Skaleneinstellungen der Reglerknöpfe stehen für die jeweiligen Parameterwerte; diese codieren die Aktion des Komponisten bei der Realisation der elektronischen Partitur.


a. Substituierung der Reihe

Die Vorstellung, alle Aspekte eines Stückes aus einer Grundkonstellation heraus zu entwickeln, führte zum Konzept der integralen Reihentechnik, wie sie Stockhausen in seinen Gruppen für drei Orchester (1955-57) als Exempel statuiert hat. Die dem Werk zugrunde liegende Allintervall-Reihe wird durch eine Zahlenreihe substituiert [11], aus der weitere Parameter-Reihen (für Tempo, Formanten, Ambitus der Tonhöhenfelder, Anzahl der Anschläge, Abfolge der Formteile, etc.) gewonnen werden. Diese erscheinen aber in fortwährender Variation - so der historisch vermittelten Wiederholungs-Idiosynkrasie Rechnung tragend - welche durch Permutation der Reihe entsteht. Die Permutationsregel selbst wurde wiederum aus der Grundreihe abgeleitet. Auf diese Weise wird ein komplexes hierarchisches System errichtet, dessen funktionelle Aspekte jeweils von Varianten der Ausgangsreihe gesteuert werden; als Resultat dessen erscheint ein Strom parallel ablaufender Parameter- Reihen, deren Bestimmungsgrößen schließlich zur Struktur "zusammenschießen". Diese Konzeption hat Koenig erweitert, indem er die Ausgangsreihe suspendiert. "An die Stelle der Reihe tritt also ein Feld mit den Zuständen, die der jeweilige Parameter im jeweiligen Formteil annehmen kann. Das Feld ist Bestandteil einer Materialliste, welche sämtliche Werte beinhaltet, die der Komposition zur Verfügung stehen" [12]. Für jeden Parameter (harmonische Konstellationen, Tempi, Einsatzabstände, Register, Dynamik etc.) wird eine Material- Liste konstruiert, in der alle Werte gesammelt werden, die in der Komposition vorkommen können. Ihre Reihenfolge ist gleichgültig: die Daten werden ihrer Größe nach zur Skala sortiert. Nur im Grenzfall erscheint die Material-Liste zur Gänze, meist aber in Auszügen, den Daten-Feldern. Diese werden für jeden Abschnitt der Komposition gebildet und enthalten eine Auswahl an Elementen der Materialliste. Hinsichtlich ihrer Größe und ihres Inhaltes sind die Datenfelder variabel; sie stellen eine Selektion und damit auch eine Reduktion des zur Verfügung stehenden Ausgangsmaterials dar. Erst für die einzelnen Unterabschnitte eines Formteils wird die Häufigkeit und Anordnung der Elemente bestimmt. Aus einer amorphen Ansammlung von Daten wird so Schritt für Schritt strukturiertes Material "zubereitet".

       Material-Liste [a b c d e f g]

                            |  
                            | Selektion
                            | (Selektionsregel) 
                            | 
                            v
  
       Datenfeld        [a c d g]               

                            |  
                            | Elementwiederholung
                            | (Multiplikationsreihe) 
                            | 
                            v

       Wdh.-Liste [a a a c d d g g g g g]

                            |
                            | Reihenfolge
                            | (Permutationsregel) 
                            |
                            v
         
       Ergebnis   [c d g g a g g d a g a]


b. Wiederholungsgebot statt Wiederholungsverbot

Die Substituierung der Reihe durch eine Folge von Zahlenwerten erweitert diese um einen weiteren Aspekt, der verborgen bleibt, solange damit nur konkrete Parameterdaten (Tonhöhen, Dauern, Lautstärken, Klangfarben etc.) bezeichnet werden: die Zahlenfolge ist nun imstande, Mengen zu definieren, wobei jeder Zahlenwert die Anzahl der Wiederholungen angibt, die ein Element einer Parameter-Liste erfährt. Damit wird eine Grundregel der seriellen Musik - das Wiederholungsverbot - angetastet und durch ein Wiederholungsgebot ersetzt, ohne damit aber serielles Denken preiszugeben - die Elementwiederholungen werden durch eine Multiplikations-Reihe wiederum seriell gesteuert [13].

Die Einführung der Elementwiederholung beruht wohl auf einer Einsicht, die Koenig bei der Realisierung elektronischer Musik gewonnen hat. Beim Abspielen einer einzigen Grundphase eines Klanges wird dieser nur als Knacks vernommen. Erst durch mehrfache Wiederholung der Phase wird der Klang als solcher hörbar: er tritt als periodischer Vorgang in Erscheinung. Die Anzahl der Wiederholungen läßt sich durch eine Multiplikations- Reihe seriell bestimmen. Je weniger periodische Vorgänge innerhalb eines Klang stattfinden, desto mehr tendiert er zum Geräusch, das sich bekanntlich durch Aperiodizität auszeichnet. Durch Vermittlung zwischen periodischen und aperiodischen Vorgängen lassen sich im Studio alle Zwischenbereiche von Klang zum Geräusch auskomponieren.

Auf ähnlichen Überlegungen basiert Koenigs Kompositionsprogramm Projekt 1 (1964 ff.) [14]. Die zuvor im Bereich des Klanges (also der "Mikro-Zeit") betrachteten Vorgänge erscheinen hier in die "Makro-Zeit" transferiert. Es werden periodische und aperiodische Texturen unterschieden. Im ersten Fall wird ein gewählter Parameterwert (z.B. eine Dynamikangabe) mehrmals wiederholt, ehe der nächste folgt. Eine rein aperiodische Textur hingegen reiht die Parameterdaten ohne Wiederholung aneinander und bildet so den klassischen Fall einer "Reihe". Diese beiden Extreme werden sind durch einen 7stufigen Prozeß vermittelt, der gleichsam "digitale" Übergänge zwischen periodischen und aperiodischen Vorgängen schafft. Jeder der fünf Parameter (Instrument, Rhythmus, Harmonie, Oktavlage und Dynamik) wird für einen Formteil hinsichtlich seiner Periodizität bestimmt; die Struktur und der spezifische Charakter eines Abschnittes entstehen durch Überlagerung aperiodischer bzw. periodischer Parameter-Ströme.

Das von Koenig angewandte Wiederholungsgebot erscheint als allgemeine Formulierung von Stockhausens Gruppenkomposition. Zunächst war "mit 'Gruppe' (...) eine bestimmte Anzahl von Tönen gemeint, die durch verwandte Proportionen zu einer übergeordneten Erlebnisqualität verbunden sind" [15]. Eine Gruppe wird auf Grund von Merkmalen definiert, die alle Elementen gemeinsam aufweisen. Eine andere Definition erfährt das Gruppenprinzip in dem Aufsatz "... wie die Zeit vergeht ...", wo Stockhausen erstmals den Begriff der Multiplikationsreihe verwendet; sie reguliert, "wie oft jede der Elementgruppen permutiert werden sollte" [16].

Unter einer "Gruppe" werden in beiden Fällen unterschiedliche Dinge verstanden. Zunächst handelt es sich um globale Zustandsbeschreibungen musikalischer Strukturen, wie sie Stockhausen an Hand des Klavierstückes I (1952) erläutert. In Bezug auf die Komposition der Gruppen (1955 - 57) hingegen wird ein technisches Prinzip - nämlich die Anzahl der Permutationen - ins Treffen geführt; "alle mikrozeitlichen Vorgänge (sollten dadurch) mit den makrozeitlichen in Einklang" gebracht werden [17]. Gleich bleibt in beiden Fällen jedoch die beabsichtigte ästhetische Wirkung - mit Hilfe des Gruppenprinzips soll der "punktuelle" Stil zugunsten übergeordneter Erlebnisqualitäten aufgehoben werden.


c. Aleatorische Auswahl an Stelle von Permutation

Mit der Substituierung der Reihe durch einen komplexen Auswahlmechanismus verliert die systematische Permutation der Reiheninhalte ihren Sinn. An ihre Stelle tritt nun die aleatorische Auswahl. Im Unterschied zu Stockhausen, der in seinem Klavierstück XI (1956) die Realisierung der "offenen" Form auf den Interpreten abwälzt [18], hat Koenig - ebenso wie John Cage - den Zufall in den Kompositionsvorgang selbst aufgenommen. Anders aber als Cage appelliert Koenig nicht an den Zufall als anarchistisches Moment, das zur Verhinderung von Struktur und Ordnung inthronisiert - und zugleich vergötzt - wird. Aus der Erkenntnis, daß durch Zusammenwirken systematisch bestimmter Vorgänge im Einzelnen unkontrollierbare Ereignisse entstehen, die das System ohne äußere Eingriffsmöglichkeit produziert, hat Koenig Konsequenzen gezogen. Durch Zufallsentscheidungen innerhalb vorbestimmter Grenzen wird Mobilität und Variabilität des Materials gewährleistet, ohne daß seine Manipulationen sich in purer Beliebigkeit ergehen. Dem Zufall kommt hier die Funktion eines Variationsfaktors zu, der aus den Möglichkeiten, die ihm der Komponist zur Verfügung gestellt hat, auswählen kann.

Für Koenig spielt nur der "reduzierte Zufall" eine Rolle. "Wir wollen darunter eine einmalige aleatorische Entscheidung innerhalb eines Feldes möglicher Entscheidungen verstehen oder doch so weniger Entscheidungen, daß der Zufallscharakter empirisch nicht in Erscheinung tritt; der Zufall lenkt zwar, wird aber nicht als solcher erkannt" [19].


d. Feldkomposition

In der Bemühung, die Widersprüche reiner System-Komposition - die sich durch völlige Determination auszeichnet, aber ins Unbestimmbare umschlägt - und reiner Zufalls-Komposition - in der dem Zufallsprinzip eine ideologische Verherrlichung widerfährt - zu lösen, durchdringen sich in Koenigs Konzeption systematische und aleatorische Momente: im Bereich der Feldkomposition werden beide Ansätze zur Synthese gebracht.

Ein Feld ist als die Gesamtheit der möglichen Zustände zu denken, die ein System bietet. "Der Feldinhalt (...) besteht aus der Summe dessen, was musikalisch-strukturell investiert wurde; nicht bloß aus der Menge der akustischen Elemente selber, sondern aus ihrer charakteristischen Reihenfolge, der Häufigkeitsverteilung, aus Sprüngen, Übergängen, Verschmelzungen, Nachbarschaftsbeziehungen und Kontrasten. Solche Eigenschaften resultieren aus systematischen Manipulationen (...), oder aber auch aus Zufallsmanipulationen innerhalb so enger Grenzen, daß diese wie punktuelle Größen "herausragen" und damit ein Gerüst bilden, an dem sich der Hörer orientieren kann. (...) (Dadurch) lassen sich dem Feld Grade der Durchsichtigkeit oder der Kohärenz verleihen, die freilich kaum einem System untergeordnet werden können" [20].

Die Idee der Feldkomposition geht wieder auf Stockhausen zurück. An die Stelle exakt definierter Elemente treten nun Feldgrößen, die den Bereich angeben, innerhalb dessen sich ein musikalischer Vorgang abspielen soll [21]. Stockhausen hat den Begriff des Feldes vor allem in Hinblick auf die rhythmische Interpretation eines Notentextes durch den Spieler entwickelt, wie es in den Zeitmaßen (1956) für Bläserquintett seinen Niederschlag gefunden hat. Wieder handelt es sich um einen Spezialfall, der an Hand eines konkreten Beispiels entwickelt wurde. Der Begriff des Feldes ist bei Stockhausen mit Konnotationen wie "Massenstruktur" und "Unsicherheitsfaktoren" verkoppelt - dementsprechend wird als neue Notationsform die von John Cage entwickelte space notation angeführt [22] -, während es sich bei Koenig um ein allgemein formuliertes Kompositionsprinzip handelt, mit Hilfe dessen jeder musikalischer Zustand zwischen den Extremen "solistische Einzelstimme" und "komplexe Massenstruktur" generiert werden kann.

Ein Feld, wie es Koenig definiert, liefert eine globale Zustandsbeschreibung im Sinne einer Strukturformel, die sich in unzähligen Varianten realisieren läßt. Hier ist also das Konzept der "offenen" Form in die Kompositionstechnik selbst eingegangen und hat dort seine adäquate Darstellungsweise gefunden. Das Feld ist weit mehr als eine bloße Anhäufung von Daten; es beinhaltet vorstrukturiertes Material, welches Vermögen besitzt, Charaktere auszubilden, die sich durch typische Einheitsmerkmale auszeichnen. Dadurch lassen sich Strukturen, die verschiedenen Feldern entstammen, voneinander unterscheiden, wodurch eine Voraussetzung geschaffen wird, um Form plastisch zu artikulierten. "Wenn Felder aufeinander folgen, treten sie in Beziehung; diese Beziehungen sind um so leichter aufzufassen, je mehr verwandte Elemente manifest oder suggeriert werden. (...) Verwandte Felder offenbaren Verwandschaftsgrade und damit einen systematischen - oder systematisierbaren - Gehalt. Felder sind in der Tat "offene" Formen (...): ihr Inhalt kann zufallsbestimmt oder systematisch sein, ebenso kann in ihrer Folge ein systematischer Gedanke sich ausbilden (Formtendenz) oder ein Spiel des Zufalls sich äußern" [23].


e. Form

In der seriellen Musik war Form zunächst ein Produkt, das mehr oder weniger unintendiert beim Kompositionsprozeß "anfiel". Sie artikulierte einen Zeitablauf, in ständiger Bewegung begriffen, ohne jedoch sich selbst zu reflektieren, und ohne aus dem bereits Strukturierten Konsequenzen zu ziehen: als gäbe es keine Geschichte, sondern einzig begriffsloses Sein. Solche Musik lief Gefahr, bloß als Vorgang zu "passieren" (ganz im Sinne Cage's). Koenig beschreibt das folgendermaßen: "Die serielle Großform entsteht im Prinzip dadurch, daß für jeden Parameter soviele Reihen (Permutationen) ablaufen, bis das Ende des Werkes erreicht ist. Um 'Blöcke' zu vermeiden, in denen alle Parameter-Reihen gleichzeitig beginnen und enden, macht man Reihen verschieden lang oder läßt die Parameter verschiedenen Dauernreihen folgen. Dadurch entstehen mannigfache öberschneidungen, die der Komponist wohl berechnen, nicht aber im voraus hörend sich vergegenwärtigen kann. Es tritt eine Art zeitliche Kompression ein: während der 'klassische' Komponist sein Werk Zeitpunkt für Zeitpunkt komponiert und die Zeitpunkte hörend aufeinander beziehen kann, wirft der 'serielle' Komponist ein Beziehungsnetz über die Dauer des Werkes" [24]. Die Umgehung der Schwierigkeiten, daß die Artikulation der Form lediglich in malgré lui- Zusammenhängen [25] resultiert, führte zur Entwicklung unterschiedlicher Ansätze, die hier in Kürze skizziert werden sollen.


f. Von der "Strukturformel" zu Computer-Aided-Composition

Koenigs Absicht, den Kompositionsvorgang zu formalisieren, um ihn gänzlich mit Rationalität und Kalkül zu durchdringen, dient nicht zuletzt dazu, sich beim Komponieren jeglichen Zugriff auf ästhetische Vorstellungen, auf Geschichtlich-Sedimentiertes, auf Clichés, Phrasen- und Formelhaftes sowie auf alles unbewußt Verinnerlichte zu versagen. Durch Abstraktion des musikalischen Materials (ebenso auch des Produktionsvorganges) wird dieses von seiner akustisch und historisch bedingten Gravitationskraft befreit. Dadurch vergeistigt es sich gleichsam, wird fluide und damit zur uneingeschränkten Formung und Transformation geschickt, die im Bereich höchster Abstraktion - den der Zahl - stattfindet. Das Material tritt jedoch nie in als solches Erscheinung; es zeigt sich immer in elaborierter Form, als Struktur. Diese geht aus einem Keim hervor, der das abstractum der gesamten Komposition enthält: der Strukturformel. In ihr ist die serielle Theorie und Praxis auf den Punkt gebracht - und zugleich aufgelöst.

Die "Strukturformel" enthält in konzentriertester Form die "Idee" des Stückes und wird durch die Aspekte des Materials und die Prozesse der Materialverarbeitung definiert. Bei Anwendung aleatorischer Methoden dient sie zur Beschreibung der "offenen" Form, die nicht eine einzige Lösung, sondern die Menge derer, die innerhalb der Grenzen des Möglichkeitsfeldes beschlossen sind, enthält.

Die hier beschriebene Vorgangsweise bedarf einer adäquaten Produktionsmethode, die Koenig zu Beginn der 60er Jahre in der elek-tronischen Datenverarbeitung gefunden hat. Der Computer realisiert die Strukturformel, die der Komponist als Programmcode eingibt. In der Interaktion mit dem Computer kann der Komponist die Tragweite seiner kompositorischen Planung erkennen. Ist er mit den Resultaten nicht einverstanden, muß er die Strukturformel solange modifizieren, bis Intention und Ergebnis zur Deckung gebracht sind.


g. Interpretation

Die - mit oder ohne Computer - errechneten Konstellationen ergeben nicht die fertige Komposition, sondern eine Fülle strukturierten Datenmaterials, das als abstraktes Zwischenprodukt erst mittels Interpretation in den Bereich der musikalischen Wirklichkeit gehoben wird. Durch Aufnahme des Moments der Interpretation in den Kompositionsprozeß wird der Dialektik von Subjekt und Objekt Rechnung getragen. Das komponierende Subjekt entwirft ein System, das mit Hilfe formaler und logischer Operationen als Strukturformel beschrieben wird, welche die Objektivierung der kompositorischen Absichten darstellt. Mit Hilfe von Zufallsentscheidungen ist es nun möglich, verschiedene Realisationsmöglichkeiten der Strukturformel zu errechnen. Da deren Resultate jedoch in Form eines abstrakten numerischen Codes geliefert werden, bedarf es der Übersetzung in den Bereich der musikalischen Notation, die jedoch nicht mechanisch, sondern in Abhängigkeit von den jeweils auftretenden Kontexten erfolgt. Am Ende des Kompositionsprozesses steht - als letzte Instanz - wiederum das Subjekt, das jedoch seine Entscheidungen von der Analyse des objektiv errechneten Outputs bzw. der Anwendung bestimmter, im voraus geplanter Strategien abhängig macht.

Die Dialektik von Subjekt und Objekt spiegelt sich auch im Spannungsfeld zwischen mechanischen und spontanen Komponenten wider. Diesem begegnet man auf Schritt und Tritt im elektronischen Studio, wo die kompositorischen Vorgänge durch mechanische ausgedrückt werden: die Veränderung einer musikalischen Größe wird durch das Verstellen eines Regelknopfes bewirkt, eine Transformation etwa durch eine besondere Verschaltung oder Tonbandmanipulation. Koenig ging es vor allem darum, "die Demarkationslinie zwischen mechanischer Arbeit beim Komponieren und dem nicht vorweg Definierbaren zu bestimmen - und schrittweise nach vorn zu verlegen" [29]. "Mir war bewußt", heißt es weiter, "daß schöpferische Arbeit ohne Rückgriff auf Gewußtes und mechanisch Anwendbares unmöglich sei (wie das Sprechen ohne Grammatik), daß aber auch dieser Rückgriff noch zu den kreativen Akten zählt. Ich habe dann bei eigenen Kompositionsversuchen (...) bemerkt, daß eine Mechanik ohne spontane Eingriffe musikalisch unbefriedigend bleibt (...). Experimente im elektronischen Studio haben mir dies bestätigt. Ich begab mich also auf die Suche nach geeigneten Einsatzstellen fürs Spontane innerhalb des Mechanischen. Es kann ihm vorausgehen, ihm folgen, oder mittendrin stattfinden". Dies beschränkt sich jedoch keineswegs auf die Arbeit im elektronischen Studio, wenngleich diese Überlegungen hier entwickelt worden sind. So wird etwa im Streichquartett 1959 zunächst eine abstrakte Struktur errechnet, die erst durch die "spontane" Reaktion und Interpretation des Komponisten zur musikalischen Gestalt wird.

Während sich bei Stockhausen eine schrittweise Wendung vom "mechanischen" zum "spontanen" Komponieren feststellen läßt, sind in Koenigs kompositorischem Denken beide Antipoden fest verankert. Das zuvor erwähnte Kompositionsprogramm Projekt 1 ist im Wesentlichen auf diesem Begriffspaar aufgebaut. Sowohl am Anfang (bei der Wahl der Eingabedaten) als auch am Schluß (wo der Output durch Interpretation umgeformt wird) stehen die Entscheidungen des Komponisten, während der eigentliche Rechenvorgang ohne äußere Eingriffsmöglichkeiten im Inneren des Computers abläuft. Das Subjekt umschließt als erste und letzte Instanz wie eine Klammer den gesamten Kompositionsprozeß: die Mechanik des Programms wird durch die gewählten Eingabedaten gesteuert und der numerische Output durch Interpretation in die tatsächlich erklingende Gestalt übersetzt.


in: Musik-Konzepte, Bd. 66: "Gottfried Michael Koenig"
München: edition text + kritik, 1989. [108 p. ISBN 3-88377-352-2]



Anmerkungen:

[1] Karlheinz Stockhausen, ...wie die Zeit vergeht...; in: die Reihe. Informationen über serielle Musik, hrsg. von Herbert Eimert unter Mitarbeit von Karlheinz Stockhausen, Band III (Wien 1957), S. 13 ff.

[2] Gottfried Michael Koenig, Kommentar. Zu Stockhausen: ...wie die Zeit vergeht... Zu Fokker: Wozu und Warum? Und zur augenblicklichen Praxis aus der Sicht des Autors; in: die Reihe, Band VIII (Wien 1962), S. 73 ff.

[3] in: Ursula Stürzbecher, Werkstattgespräche mit Komponisten (Köln 1971), S. 1971.

[4] György Ligeti Conversation (London 1983), Interview mit Péter Várnai (1978), S. 39.

[5] Stockhausen, ...wie die Zeit vergeht..., S. 24.

[6] Stockhausen, ...wie die Zeit vergeht..., S. 19 f.

[7] Die in Stockhausens Aufsatz gegebenen Notenbeispiele und die zugrunde liegende Allintervallreihe (ebda., S. 25) beziehen sich auf die Komposition der Gruppen. Koenig hat dieses Stück im letzten Teil seines "Kommentares" (S. 83 f.) analysiert und nachzuweisen versucht, daß Stockhausens Zeitkonzeption schlüssig in der Komposition aufgegangen ist.

[8] Karlheinz Stockhausen, Texte, Bd. 4 (Köln 1978), hrsg. von Christoph von Blumröder, S. 13.

[9] Der Begriff der Rationalität wird hier - entgegen seiner zunehmenden Depravierung in letzter Zeit - in der ursprünglichen positiven Bedeutung als "Kennzeichnung eines in bezug auf eine gegebene Situation 'stimmigen', angemessenen, sinnvollen Verhaltens, das auf Einsicht gegründet ist" (in: Meyers Großes Taschenlexikon in 24 Bänden, Mannheim - Wiesbaden - Zürich 1983) verwendet.

[10] Gottfried Michael Koenig, Musik und Zahl (msch., Köln 1957/58), S. 13 - vgl. den Abdruck in diesem Heft, S. 24.

[11] Koenig, Kommentar, S. 84.

[12] Gottfried Michael Koenig, Serielle und aleatorische Verfahrensweisen in der Elektronischen Musik; in: Electronic Music Reports, No. 4 (Utrecht 1971), S. 107.

[13] Gottfried Michael Koenig, Serielle und aleatorische Verfahrensweisen, S.105.

[14] Eine kurzgefaßte Einleitung in dieses Kompositionsprogramm findet sich in: Gottfried Michael Koenig, Projekt Eins - Modell und Wirklichkeit; in: Musik und Bildung (1979/12), S. 752 ff.

[15] Karlheinz Stockhausen, Gruppenkomposition: Klavierstück I (Anleitung zum Hören); in: Texte, Bd. 1 (Köln 1963), hrsg. von Dieter Schnebel, S. 63.

[16] Stockhausen, ...wie die Zeit vergeht..., S. 18.

[17] Stockhausen, ...wie die Zeit vergeht..., S. 18.

[18] Karlheinz Stockhausen, Nr. 7: Klavierstück XI (1956); in: Texte, Bd. 2 (Köln 1964), hrsg. von Dieter Schnebel, S. 69 f.

[19] Gottfried Michael Koenig, Musik in ihrer technischen Rationalität (msch. 1961); zitiert nach Konrad Boehmer, Zur Theorie der offenen Form in der neuen Musik (Darmstadt 1988 - 2. Auflage), S. 117.

[20] Gottfried Michael Koenig, System und Zufall in der Musik und in der elektronischen Klangproduktion (msch. 1966/67), S. 24 f. - gedruckt in Englisch als: Remarks on Compositional Theory; in: ders., Summary. Observations on Compostional Theory (Utrecht State University, Institute of Sonology, Utrecht 1971), S. 9. ff.

[21] Stockhausen, ...wie die Zeit vergeht..., S. 33 f.

[22] Stockhausen, ...wie die Zeit vergeht..., S. 36 f.

[23] Koenig, System und Zufall, S. 24.

[24] Koenig, System und Zufall, S. 20.

[25] Boehmer, Zur Theorie der offenen Form, S. 190.

Siehe: György Ligeti, Form; in: Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik, hrsg. von Ernst Thomas, Bd. X (Mainz 1966), S. 28.

[26] Gottfried Michael Koenig, Ligeti und die elektronische Musik; in: Ligeti. Personalstil - Avantgardismus - Popularität (= Studien zur Wertungsforschung, Bd. 19, hrsg. von Otto Kolleritsch, Wien 1987), S. 13.

[27] Bei einem Rhizom handelt es sich um das Modell eines wild wuchernden Wurzelstockes, der - im Gegensatz zum aufwärtstrebenden Baum - kein richtungsbestimmtes Wachstum zeigt. - Siehe: Gilles Deleuz und Félix Guattari, Rhizom; in: Mille plateaux (Paris 1980), S. 9.f.

[28] Brief an den Verfasser vom 18. Dezember 1988.



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Updated: 5 Jan 2022

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