Sophie Hanak

Regenbogen für Musikautomaten

Der Computermusiker Karlheinz Essl schätzt die Fortschritte der Automatisierung
durch digitale Technologien und nutzt sie für seine Kompositionen

2017


Jene Form der Musik, die sich auf Zahlen oder Proportionen beruft, spielt schon seit Jahrtausenden eine große Rolle. Ein Blick zurück in die Zeit von Pythagoras (um 600 v. Chr.) bestätigt es. Pythagoras befasste sich nicht nur mit Mathematik, sondern auch mit Musik. So vermaß er etwa die schwingende Saite eines Monochords. Dabei erkannte er, dass musikalische Intervalle auf einfachen Zahlenverhältnissen basieren. Diese Erkenntnis setzte er mit der kosmischen Ordnung in Beziehung. Diese Ordnung manifestiert sich in der „Sphärenharmonie“. Fast zweitausend Jahre später sollte dann der Astronom Johannes Kepler die Sphärenharmonie an den Umlaufbahnen der Planeten erforschen.

Schon früh wurden Instrumente zur Hervorbringung von Musik eingesetzt. Ihre Entwicklung und die der „Musikproduktion“ führten schließlich auch zur Verwendung von Computern in der Musik. Auf dem Weg dahin kamen Musikautomaten zum Einsatz. Schon im 17. Jahrhundert wurde von Athanasius Kircher eine Art Komponierkästchen entwickelt, bestehend aus beschrifteten Holzstäbchen mit Tabellen für rhythmische und intervallische Parameter. Ein weiteres Beispiel wird Wolfgang Amadeus Mozart zugeschrieben. In seinem posthum veröffentlichten Würfelmenuett ist jeder Takt in 11 verschiedenen Varianten auskomponiert, aus denen mittels zweier Würfel zufällig ausgewählt wird.


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Illustration © 2017 Schorsch Feierfeil


Computer können zu einer Inspirationsmaschine werden, für die musikalische Regelsysteme als Algorithmen formuliert und als Computerprogramm codiert werden. „Der Computer kann dann unsere Vorstellungen widerspiegeln“, erklärt der Musiker und Komponist Karlheinz Essl. „Er ist ein Werkzeug, mit dem ich eigene Welten programmiere. Mit externen Controllern, die an den Computer angeschlossen sind, lassen sich in Echtzeit die Parameter verändern, etwa für den Hall oder die Tonhöhe. Oft dient dazu auch eine Partitur, ein Zeitplan, der bestimmt, wann ich welchen Parameter regle.“

Wenden wir unseren Blick der Moderne zu, so fällt auf, dass nach dem Zweiten Weltkrieg auch versucht wurde, die Musik gänzlich neu zu erfinden. Man ging von den Einzelbestandteilen des Klanges aus, von Parametern wie etwa Intensität, Klangfarbe oder Tonhöhe. Das Ziel war eine Zukunftsmusik, frei von historischem Ballast. „Anton Webern wurde da als Vorläufer missverstanden“, sagt Essl.

Der Grundstein für sein Interesse an der Computermusik wurde schon früh gelegt. Die Schulausbildung schloss er in der Rosensteingasse in Wien ab, einer berufsbildenden Schule mit Schwerpunkt Chemie. „Ohne Chemie wäre ich kein Komponist geworden“, lacht er. Denn Analyse und Synthese in der Chemie seien ähnlich wie in der Musik.

Seinen Eltern zuliebe begann er danach mit dem Jus-Studium, besuchte aber nur eine einzige Vorlesung und wusste gleich, dass er dieses Studium niemals abschließen würde. Stattdessen begann er mit Musikwissenschaften und kurze Zeit später mit Komposition. „Schlussendlich bin ich dann durch meine Dissertation über Anton Webern auf die Computermusik gekommen. Mich interessiert die Verbindung von Instrumenten mit Computern. Der Computer hört dem Instrument zu und erzeugt daraus eine Begleitung. Ich vergleiche das gern mit einem Spiegelkabinett, wo die Musik wie in einem Kaleidoskop sich selbst reflektiert.“

In den 1990er Jahren ließ er sich durch Goethes „Urpflanze“ inspirieren. Die Urpfanze ist ein abstraktes Denkmodell, „das den Typus einer Pflanze schlechthin verkörpert und aus der man alle Pflanzengestalten kombinieren kann“, erklärt Essl. Daraus entwickelte er sogenannte Strukturgeneratoren, also Computerprogramme, die in Echtzeit musikalische Strukturen produzieren.

Umgesetzt hat er dieses Konzept erstmals 1992 in seiner Lexikon-Sonate für ein computergesteuertes Klavier. Dabei werden die unterschiedlichen Systemparameter zufällig variiert. Dadurch entwickelt sich die Musik ständig weiter und wird so unendlich. Heute sind Computer so leistungsfähig, dass sich auch elektronische Klänge generieren lassen. Nun ist es möglich, eigenständige elektronische Software-Instrumente zu konstruieren, die individuell programmiert werden können.

Ein aktuelles Beispiel für Essls Arbeit entsteht gerade für Ganymed Nature im Kunsthistorischen Museum in Wien. Es ist ein Theaterprojekt in der Gemäldegalerie unter Einbeziehung der dort ausgestellten Kunstwerke.


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Soundperformance für ein Gemälde von Peter Paul Rubens
© 2018 by Karlheinz Essl


„Ich habe ein Bild von Peter Paul Rubens zugewiesen bekommen, das jahrzehntelang der Restaurierung unterlag, weil es stark beschädigt war: die ‚Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis‘. Es ist ein wirklich imposantes Bild, das eine griechische Gründungssage darstellt“, erzählt der Komponist begeistert.


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Peter Paul Rubens: Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis (ca. 1620-1636)
© Kunsthistorisches Museum Wien


Philemon und Baucis hatten, anders als alle anderen Menschen, den unerkannten Göttern Jupiter und Merkur Gastfreundschaft gewährt. Dafür wurden die beiden verschont, als die Welt zur Strafe der Menschen in der Flut versank. Hauptthema des Bildes ist die elementare Naturkatastrophe, die Natur in ihrer Urgewalt. „Meine Komposition zu diesem Kunstwerk soll die Naturgewalt des Gewitters darstellen. Im Bild ist auch ein Regenbogen zu erkennen, auf den sich meine Musik bezieht, indem sie das bekannte Lied ‚Somewhere over the Rainbow‘ andeutet“, sagt Essl. Für die Naturphänomene wie etwa Wind und Blitze hat er verschiedene Algorithmen programmiert. Diese werde mit Hilfe von Zufallsoperationen gesteuert. So entsteht etwas Unvorhersehbares, wie es in der Natur auch tatsächlich vorkommt.

Ein Regenbogen ist dank der digitalen Entwicklungen der letzten Jahre auch für die Computermusik aufgegangen. Die neuen Technologien haben die Kompositionsarbeit von Karlheinz Essl sehr bereichert.



in: ÖFG - Das Magazin der Österreichischen Forschungsgemeinschaft (Wien 2017), S. 34-35
© 2017 by Sophie Hanak / ÖFG



Anmerkungen

Dieser Text beruht auf einem Interview der Autorin mit dem Komponisten Karlheinz Essl, das am 10.10.2017 in Wien stattgefunden hat. Anlass dafür war der Österreichische Wissenschaftstag, der am 22.10.2017 unter dem Thema "Automatisierung: Wechselwirkung mit Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft" stattfand und bei der Karlheinz Essl seinen Text Komponieren im Spannungsfeld von Intuition und Algorithmik vorgetragen hat.



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Updated: 13 Aug 2018

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