Karlheinz Essl: Live-Performance mit seinem Computerinstrument m@ze°2
Oaxaca, Museo de Arte Contemporáneo (1 Oct 2008)
Instrumenta Contemporánea
Annina Loets: Wie haben sich Musik- und Musikinstrumente in den letzten Jahren - von den ersten Synthesizern bis zur heutigen elektronischen Musik - verändert?
Karlheinz Essl: Die Musikinstrumente haben sich interessanterweise sehr langsam entwickelt. Der Synthesizer zum Beispiel hat noch immer die alte Kirchenorgel im Rücken. Es haben sich zwar die Klänge verändert, aber der Zugang ist immer noch der Alte: Es gibt Tasten und Registerknöpfe, die man bedient. Elektronische Musik hingegen bietet jetzt die Möglichkeit, seine eigenen Instrumente zu entwerfen. Das geht weit über das alte Denken von Tasten, Orgeln und Synthesizern hinaus. Das Instrument kann jetzt einen neuen Zusammenhang mit der Komposition bilden, indem es nicht bloß die Komposition realisiert, sondern selbst schon Teil der kompositorischen Arbeit ist. Zum avancierten Komponieren gehört für mich letztlich auch die Erfindung von Instrumenten dazu: Dies realisiert sich vor allem in der Form von Computerprogrammen, die man selbst entwickelt. Mit Hilfe von angeschlossenen Steuerkonsolen, Regler und Sensoren können solche Programme wie Instrumente gespielt werden.Seit den 1990er Jahren gibt es eine starke Entwicklung in diese Richtung, seit Software und Rechner günstig verfügbar geworden sind. Dabei handelt es sich nicht um Programme, die bloß ein bereits existierendes Instrument simulieren. Was ich meine sind Computerprogramme, die man selbst schreibt. Aus diesen entstehen einmalige Instrumente, die man selbst erfunden und konstruiert hat und dann das realisieren, was sich der Künstler vorstellt. Genau dies ist mein Ansatz: Software zu schreiben, die wie ein Instrument funktioniert.
AL: Wie kann man sich das vorstellen, das klingt sehr abstrakt?
KHE: Das ist gar nicht so abstrakt, ich habe ein solches Instrument im Internet beschrieben. Es nennt sich m@ze°2 (Modular Algorithmic Zound Environment) und besteht zunächst aus einer Software, an der ich als "work-in-progress" seit zehn Jahren arbeite. Angeschlossen an den Laptop, der die Software betreibt, sind verschiedene Reglerpulte und Sensoren, mit denen ich das Instrument steuere.
Benutzeroberfläche of Karlheinz Essl's Computerinstrument m@ze°2
Der Anspruch, ein Instrument zu spielen, bewährt sich aber erst in der Praxis. Man kann sich natürlich vieles ausdenken. Häufig entsteht dann aber bloß eine technische Apparatur, die wenig Sensualität zulässt, wenig Interaktion. Getestet habe ich mein Instrument mit Improvisationsmusikern. Das ist die heikelste Situation, die man sich vorstellen kann: Man hat kein fertiges Stück, keine Partitur, die man einstudiert hat. Plötzlich steht man auf der Bühne mit einem tollen Instrumentalisten und macht ohne Absprache gemeinsam Musik - quasi im luftleeren Raum. Im Laufe von zehn Jahren habe ich mein Instrument in öffentlichen Improvisation-Sessions eingesetzt und habe gelernt, wie es sich verbessern lässt, sodass ich noch intuitiver, noch sensibler auf die anderen Musiker reagieren kann.
AL: Bei soviel künstlerischen Möglichkeiten wirken traditionelle Instrumente langweilig - sind Geige, Flöte und Posaune bald passé?
KHE: Nein, überhaupt nicht. Ich finde die althergebrachten Instrumente weiterhin spannend. Vor allem dann, wenn man sie mit neuen Augen betrachtet. Nehmen wir zum Beispiel die Querflöte: Ein sehr altes Instrument, das sich aus der barocken Traverse-Flöte entwickelt hat und ist später orchestertauglich gemacht worden ist. Die Flöte hat ihre eigene Geschichte sowie einen Fundus aus Stücken und Klängen, die einem vertraut sind. Nun kann man diese Flöte aber auch wie ein Kleinkind in die Hand nehmen und sie betrachten, als hätte man so etwas noch nie gesehen. Ich bezweifle, dass ein Kind zunächst realisiert, dass man da hineinblasen kann. Wahrscheinlich wird es darauf herum klopfen. Wenn man eine Querflöte mit den Augen eines Kindes betrachtet, ist das zunächst einmal ein Blechrohr mit Löchern. Auf den Löchern sind Klappen angebracht und wenn man darauf drückt, gibt das Klacklaute. Die klingen alle verschieden, wie bei einem Schlagzeug. Doch diese Töne sind sehr leise – man hört nur ganz zarte Klicks. Wenn man aber im Inneren der Flöte Mikrofone anbringt und dieses verstärkt, hat man mit einem Mal ein richtiges Schlaginstrument. Das ist ein Beispiel, wie man aus einem alten Instrument etwas Neues machen kann, wenn man es mit anderen Augen betrachtet.Das finde ich spannend, weil man einerseits spürt, dass etwas Zeitloses da ist, das mit unserem Menschsein zu tun hat, mit den Abläufen, die aus der Bewegung – aus dem Leiblichen – kommen. Auf der anderen Seite ist eine Klangwelt damit verbunden, die nicht mehr nach der alten Flöte klingt, sondern wie experimentelle, elektronische Musik. So betrachtet, finde ich die alten Instrumente nach wie vor sehr interessant.
AL: Inwieweit orientiert sich elektronische Musik denn noch an Harmonielehre und alten Klangmustern?
KHE: Das läßt sich so einfach nicht beantworten, weil die elektronische Musik hunderte verschiedene Spielarten kennt. Es gibt eine Art Pop-Mainstream in der elektronischen Musik, die sehr rückwärtsgewandt und traditionell agiert. Die Melodien sind sehr einfach gestrickt und aus wohlbekannten harmonischen und melodischen Klischees zusammengestoppelt. Auf der anderen Seite gibt es aber experimentelle Richtungen, die alles was Rhythmus, Melodie und Harmonie betrifft, bewusst aussparen zu Gunsten völlig abstrakter Klangwelten. Dazwischen gibt es wiederum eine unglaublich breite Vermischung von Genres.
Karlheinz Essl bei seiner Liveperformance von Sonnez la cloche!
Böheimkirchen, WÜRTH Art Room (3 Nov 2003)
AL: Braucht man heute überhaupt noch die gleichen motorischen Fähigkeiten wie frührer, um ein Instrument zu spielen? Das "Tenori-On" beispielsweise ist doch sicherlich einfacher zu bedienen als eine Geige?
KHE: Ja und Nein. Auch wenn man bloß Knöpfe bedient, muss man diese zum richtigen Zeitpunkt drücken. Wie beim Klavierspiel, dessen Kunst einzig und allein darin besteht, die richtige Taste zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Stärke anzuschlagen und nach der richtigen Zeit wieder loszulassen. Eine gewisse Grundmotorik braucht man auch bei den neuen Instrumenten, auch wenn man darauf „nur“ Knöpfchen drückt oder Regler verschiebt. Wenn man das "Tenori-On" benutzt und einfach nur blöd darauf herumdrückt, kommen nur Sachen dabei heraus, die schon vorher in das Gerät einprogrammiert waren. Wenn man wirklich etwas Besonderes damit machen will, muss man eine ziemlich gute Feinmotorik entwickeln, um das umzusetzen. Und dazu gehört natürlich auch musikalische Sensibilität und Vorstellungskraft, die sich unmittelbar auf die Finger übertragen muss.
Karlheinz Essls Hände an den MIDI-Controllern zur Steuerung seines Computerinstruments m@ze°2
AL: Das heißt auch für elektronische Musik braucht man jahrelange Übung?
KHE: Allerdings. Natürlich kann man das auch ganz primitiv machen, indem man nur Funktionen bedient, die vom Entwickler bereits vorgesehen sind. Dabei macht man sich aber nur zum Erfüllungsgehilfen des Herstellers. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, die Musik über den Computer zu programmieren, indem gewisse Vorstellungen im Vorfeld fixiert werden, was sich mit handelsüblichen Audio-Sequencer bequem bewerkstelligen läßt. Das interessiert mich persönlich aber nicht. Mir geht es vielmehr darum, unmittelbar in den Klang einzugreifen, ihn im Moment entstehen zu lassen und zu formen. Das ist wie bei einer Skulptur aus Ton: Da hat man zu nächst einen leeren Klumpen und dann beginnt man mit den Händen hineinzufassen und zu modellieren, bis man zuletzt die Form gefunden hat.
AL: Musik wird also – anders, als häufig behauptet – nicht demokratischer?
KHE: Ach, das ist doch bloß leere Ideologie! Daraus entsteht nur solche Musik, die auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner funktioniert. Kunst ist aber wie jegliche Kunst in ihrem innersten Wesen undemokratisch, weil individuell. Deshalb glaube ich nicht, dass mit der Demokratisierung der Musik etwas Interessantes herauskommt. Immer dann, wenn man über das Durchschnittliche hinausgehen will um Menschen zu berühren, funktioniert das nur mit „elitären“ Vorgangsweisen, die einzigartig und nicht massenkompatibel sind. Es sind immer nur einzelne Individuen, die sich der Musik in einer Art und Weise hingeben, wie man sie nicht von einem Durchschnittsbürger verlangen kann. Nur so entsteht das Besondere!
AL: Sie haben ja schon gesagt, dass man im Prinzip jede Musik mit dem Computer machen kann. Trotzdem gibt es immer wieder Versuche, Klängen die Körperlichkeit eines Instruments zu geben. Ist das nicht rückschrittlich?
KHE: Wenn ich auf der Bühne bin, finde ich die Bühnenpräsenz sehr wichtig. Ich würde nicht bloß am Laptop sitzen und auf dem Maus-Pad herumfummeln. Ich bin auf der Bühne mit Leib und Seele involviert, weil ich viele Geräte gleichzeitig zu bedienen habe und dabei eine Art Tanz vollführe, der aus der Koordination der verschiedenen Bewegungsabläufe entsteht. Die Musik sollte aber aus sich heraus wirken. Etwas Künstliches und Aufgesetztes darüber zu geben, ist nicht notwendig. Für mich spielt die Körperhaltung beim Live-Spielen eine große Rolle: Wenn ich stehe habe ich eine ganz andere Erdung und kann meine Energien viel besser verteilen. Sitzend verfällt man dagegen leicht in einen Ruhestellung, wo man nicht mehr spontan und intuitiv reagieren kann.
Dieses Interview wurde für den Artikel Neue Musikinstrumente: Im Orchester der Zukunft geführt, der am 19.08.2008 auf stern.de erschienen ist.
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Updated: 5 Feb 2020