Ein elektronisches Buch? Nicht nur. Eine Literaturausstellung? Nicht ganz. Eine multimediale Galerie? Schon eher. ELEX, der "Elektronische Lexikon-Roman", als Text-, Grafik- und Fotogalerie, Lese- und Konzertereignis in einem, ist das Ergebnis einer Pionierarbeit der Wiener Gruppe Libraries of the Mind.
Auf Wunsch begleitet die Stimme des Autors Andreas Okopenko den Text des Lexikon-Romans; Grafiken und Fotos sowie eine Lexikon-Sonate, die in Echtzeit bei jeder Lektüre neu entsteht, schaffen einen optisch-akustischen Raum. Der Benutzer kann sich dem Werk auf jeder dieser Ebenen nähern und auch textliche Ergänzungen vornehmen, wie sie Okopenko schon in seinem Roman gefordert hat.
Die Grundstruktur des elektronischen Lexikon-Romans ist die des Hypertext, des assoziatives, am Kontext orientiertes Verknüpfen von Textstellen. Das Anklicken des mit einem Pfeil versehenen Stichwortes genügt, und der zugehörige Lexikonartikel erscheint sofort auf dem Bildschirm. Der "Besucher" muss sich nicht merken, welchen Weg er gegangen ist, denn die momentane Position seiner Roman-Reise findet er auf einer Landkarte:
und auf einer Stichwortliste kann der gesamte Weg zurückverfolgt werden: die Spur der Lektüren bleibt - jederzeit aktualisierbar - erhalten.
Startscreen des ELEX
Vom "Lexikon-Roman" zum ELEX
Anfang der 90er Jahre haben wir, die Gruppe "Libraries Of The Mind" - ein lockerer Zusammenschluß von Mediendesignern in Wien -, beschlossen, ein experimentelles Projekt zu starten, in dem die freie, spielerische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Computer - besser: Hypermedien - im Vordergrund steht. Andreas Okopenkos Roman in Form eines Lexikons - erschienen bereits 1970 - stellt für dieses Projekt den idealen Ausgangspunkt dar. Erstens bildet er einen unveränderlichen, abgeschlossenen und zeitlosen Korpus von Informationen, der die Weiterentwicklung der formalen Darstellungsmöglichkeiten in den Vordergrund rückt. Zweitens wird der Inhalt in einem traditionellen Medium dargestellt, so dass Vergleichsmöglichkeiten zu neuen, elektronischen Lesarten gegeben sind. Und drittens birgt der Roman auch das Problembewusstsein, dass es heute vielleicht nicht mehr genügt, seinen Inhalt - das stark emotionale Erleben der Vernetztheit und der "Möglichkeitsstruktur" der Welt - mit den traditionellen Mitteln des Buches auszudrücken.
Im Moment der Projektion durch den "Besucher" entsteht eine künstlerisch gestaltete Welt aus Texten und Bildern, Musik und Stimme - für einen flüchtigen Moment durchaus mitgeteilter Perspektive. Es geht dabei nicht um die Simulation von Welt, nicht um "Virtual Reality", sondern um ihr genaues Gegenteil, um die Konstitution von Welt in der Erzählung. Einer Erzählung, an der nicht mehr nur ein Erzähler, eine Sprache und ein Zuhörer, sondern mehrere Erzähler, mehrere Sprachen und auch - mehr als bisher - der Leser, Zuseher und Zuhörer beteiligt sind.
Das Offene Kunstwerk
Statt der vielbeschworenen "virtuellen Realitäten" stehen wir vielleicht vor einer Renaissance all jener Darstellungsweisen, mit denen Menschen seit jeher versucht haben, anderen das Erleben ihrer Realität zugänglich zu machen: in Literatur, Malerei, Musik, Fotografie - nur diesmal nicht als isolierte, perfektionierte Künste in ihrem jeweiligen "Elfenbeinturm", sondern als jederzeit aktualisierbare Bestandteile multimedialen Erlebens. Dahinter steht die Vision des Kunstwerks als offenes System, dessen Gestalt sich, unabhängig von der Wahl des Weges durch den elektronischen Raum, verschieden ausprägt. Es kann mit einem Minimalaufwand an Interaktion konsumiert werden, fordert aber durch Interaktivität zu ständiger Neukomposition und aktiver Beteiligung heraus. Der Besucher kann die Rolle eines "Forschers" einnehmen, der aus einem großen Angebot die für ihn relevante Dimension realisiert, im besten Fall sogar eines "Ko-Autors", der sich an der Erweiterung des Kunstwerks beteiligt.
Benutzeroberfläche des ELEX
Libraries of the Mind
Die Gruppe Libraries Of The Mind - 1991 als Zusammenschluß von Künstlern und Mediendesignern in Wien initiiert - siedelt sich in vielfacher Hinsicht an der "Schnittstelle" zwischen Vergangenheit und Zukunft an.
Andreas Okopenko und Karlheinz Essl bei der Eröffnungs-Performance
des Lexikon-Projektes am 25. Juli 1998 im KLANGTURM ST.POELTEN
Neben dem Autor Andreas Okopenko selbst besteht sie aus dem Programmdesigner Wolfgang Biró, dem Komponisten Karlheinz Essl, dem Historiker Georg Hauptfeld, der Fotografin Krista Kempinger, der Grafikerin Alfgard Kircher und dem Kommunikationsexperten Franz Nahrada.
Seit Mai 1998 ist der ELEX auf CD-ROM für Apple Macintosh Computer verfügbar und kann zum Preis von € 35,- (zzgl. Versandspesen) bei folgender Adresse bestellt werden:
Mediendesign
c/o Dr. Georg Hauptfeld
Alliiertenstr. 3/16
A-1020 Wien
System 7.0 oder höher
68040 oder PowerPC
8 MB freier Arbeitsspeicher
QuickTime 2.5 oder höher
CD-ROM Laufwerk (double speed)
13" Farbmonitor (640*480)
Bildschirmdarstellung: mind. 256 Farben
Literatur
Andreas Okopenko: Lexikon -
einer sentimentalen Reise zum Exporteurtreffen in Druden - Roman (Residenz:
Salzburg 1970; Ullstein: Frankfurt/Main 1983; Deuticke: Wien 1996) - ISBN 3-216-30264-4
Clemens Hausmann: Kunstrezeption und ästhetischer Gegenstand. - Vierter Teil: Anwendung und Diskussion des Modells: Andreas Okopenko, Lexikon-Roman / Karlheinz Essl, Lexikon-Sonate (phil. Diss., Salzburg 1995), S. 113 - 120.
Sigrid Fromm: Lexikon und Elexikon. Ein Vergleich des Lexikon-Romans von Andreas Okopenko mit seiner Umsetzung als Hypertext (Diplomarbeit aus Germanistik, Wien 1996)
Karlheinz Essl: Lexikalische Metamorphosen. Vom Lexikon-Roman zum ELEX zur Lexikon-Sonate zum Lexikon-Orakel und zum Lexikon-Projekt; Vortrag: gehalten am 20.11.1998 bei der Konferenz "Softmoderne - Literatur im Netz" am Goethe-Institut in Prag.
Katja Stopka: Softmodernes in Prag. Symposium an der Moldau zum aktuellen Stand der Netzliteratur Vortrag; in: Tagesspiegel, 23 Nov 1998
Florian Cramer: Literatur im Internet. in: ALG Umschau, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e.V., Sonderausgabe 1999, S.11-17.
Friedrich W. Block: Innovation oder Trivialität? Zur hypermedialen 'Übersetzung' der Moderne am Beispiel des Elektronischen Lexikon-Romans; in: p0es1s - Poetologie digitaler Texte. Forum Ästhetik Digitaler Literatur (Symposion Kassel, 20.-22. Oktober 2000)
Peter Schunda : Andreas Okopenkos Lexikonroman: Spiel einer gedruckten Hyperfiction mit wissenschaftlichen Textgattungen. Bewertung der Textmigration in den digitalen Elex; Diplomarbeit Fachhochschul-Studiengang Informationsberufe (FH Burgenland, Eisenstadt 2003 )
Sonia Ladstätter: Lexikon-Roman und Elex; Proseminarsarbeit zum Thema "Interaktive Narrative" im Fach Vergleichende Literaturwissenschaft, Universität Wien (WS 2010/2011)
Jens Keßler: Ein Reisetext als Textreise.
Andreas Okopenkos Lexikon-Roman als Beispiel für die Möglichkeiten und Grenzen der Leserbeteiligung im Printroman; Seminarabschlussarbeit im Modul „Kultur, Literatur und Medien“ im Fach Kulturwissenschaften, Fernuniversität Hagen (SS 2012)