Der Standard | KULTUR (Wien, 16.4.1993) |
Des Dichters Flußfahrt - eine Reise mit der Maus
Die Reise im Kopf als Computer-Programm, die Bibliothek des Alltags als Digital-Archiv: Andreas Okopenkos vor über 20 Jahren erschienener Lexikon-Roman mutiert im Rahmen der Reihe "Wörter brauchen keine Seiten" zur Reise mit der Maus. enko und sein Software-Assistent Franz Nahrada über Harmonisierung von Bits, Bytes und Poesie.
Früher mußten Chemiekaufmänner, so sie sich geschäftlich in
die schöne Wachau aufmachten, unter Umgehung von --> Kuhdreck, -->
verwahrlosten Fischerinnen und --> Naschwerk ein Donauschiff
besteigen.
In Andreas Okopenkos 1970 erschienenem Lexikon-Roman wird der Leser, so
ihm danach ist, lustvoll in den Fladen des Rindviechs hineintappen, um von diesem
Lektüre-Ort aus - blätternd - das --> Caffeehaus
aufzusuchen.
Oder auch nicht: Bietet doch der Lexikon-Roman, das Opus summum
des 63jährigen, in Kaschau geborenen Dichters, lediglich das
lexikalische Inventar für eine Reise im Kopf, die der Leser nach
Gutdünken gestaltet. Statt sich auf die Route des Chemikers J. zu
heften kann er sich unter dem Stichwort --> Gesäß 1
belehren lassen: "Gegen Speichellecker verhält es sich (das
Gesäß) strikt passiv". Fazit: "Dieses Buch hat
eine Gebrauchsanweisung, denn es wäre hübsch, wenn Sie sich
aus ihm einen Roman basteln wollten". (Vorwort)
Moderne Bastler ziehen nach dem müßigen
Stichwort-Nachblättern das Klicken eine "Maus" allemal vor: Die
siebenköpfige Projektgruppe Libraries Of The Mind arbeitet
seit geraumer Zeit an der "Digitalisierung" des Lexikon-Romans.
Dabei schließt die Entwicklung einer "Hypertextstruktur" die
Medien Malerei, Photographie, Musik ein: Karlheinz Essl konstruiert ein Musik-Mobile
[die Lexikon-Sonate],
dessen Komposition dem Leser (analog dessen "Geklicke") anheimgegeben ist.
Alfgard B. Kirchner kreiert Graphiken, die via Monitor abgerufen
werden. Dereinst sollen Leser den Text "fortschreiben" können -
jeder sein eigener Dichter, ganz ohne Tintenklecks.
Navigationskarte durch den Elektronischen Lexikon-Roman
© by Libraries Of The Mind (1992 ff.)
DER STANDARD sprach mit
enko und dem Projektleiter Franz Nahrada.
STANDARD: Nach Wiederlektüre des
Lexikon-Romans würde man meinen, daß Ihr Konkretismus - die
Festschreibung von Erleuchtungszuständen, des "Fluidums" - sich gegen
eine Formalisierung via Computer sperrt.
enko: Zwischen dem Geschriebenen und seiner Erweiterung
mittels Computer ergeben sich Probleme, die ich aber nicht als
Widerspruch empfinde.
Nahrada: Andreas hat in seinem Roman aufgezeigt, daß sich das
"Fluidum" aus Möglichkeiten und Strukturen ergibt, Kreuzungspunkten, in
denen für Momente viele Dinge zusammenfließen. - Der Lexikon-Roman
ist ein sprachphilosophisches Werk: Was hat Sprache mit Welt zu tun?
enko hat den sehr polemischen Satz hineingeschrieben: Das ist
Welt!
enko: Ich gebe ein Gefühl nicht wieder, indem ich den Namen
des Gefühls hinschreibe, sondern ich will die Gegenstände in der
Einmaligkeit ihrer Kombination darstellen. Dafür setze ich möglichst
genaue Methoden ein. Ich habe nie wahrgenommen, daß ich mich in einen
Lyriker und in einen Laboranten teile, die nicht wissen, wie sie sich
zusammenraufen sollen.
Nahrada: "HyperText" besagt:
In Büchern machen wir einen künstlichen Schnitt durch unseren Geist. Es
gibt Anfang, Mitte, Ende. Im Kopf sind die Dinge aber kleine Partikel,
die vielfältig miteinander verwoben sind. - Der Lexikon-Roman ist
nach wie vor eine enzyklopädische Sammlung. Die Querverweise werden aber
dank des Computers erst richtig nutzbar.
enko: Daraus entsteht kein gerundetes, sondern ein offenes
immer im Fluß begriffenes Weltbild.
Nahrada: Im Roman findet sich die visuelle Protokollierung eines
wasserbeschlagenen Glases, das natürlich für jeden anders aussieht. Statt
dieses "einzukleben", wie der Autor des Romans ironisch vorschlägt, mache
ich es nun tasächlich sichtbar.
STANDARD: Steht die "Beschleunigung" der
Informationsaufnahme nicht jenem Innehalten entgegen, zu dem Poesie
enlädt?
enko: Es ist ein bißchen zu Vergleichen mit der Entwicklung
des Films: Die Leute wurden ursprünglich mit gröblichsten Sachen
belustigt; heute gibt es die feinsten Kunstwerke...
Nahrada: Und in zehn Jahren gibt es ein ganz flaches Fenster zu
dieser unendlich tiefen Informationswelt. Jenes kann man dann biegen, in
die Wanne mitnehmen und naßmachen - aus!
Literatur
Andreas Okopenko, Lexikon-Roman einer sentimentalen Reise zum Exporteurtreffen in Druden (Salzburg: Residenz 19701, Frankfurt/M etc: Ullstein 19832, Wien: Deuticke 19963). ISBN 3-216-30264-4
ELEX | Inhaltsangabe | Kritik CD-ROM | Lexikon-Sonate |
Updated: 11 Sep 2001