Karlheinz Essl
Jene Zeiten, in denen elektronische und instrumentale Musik voneinander getrennte Parallelexistenzen führten, sind längst vorbei: Kaum ein Konzert der Neuen Musik findet heute ohne Lautsprecher, Computer und Mikrophone statt. Mittlerweile haben die einst nur eingeschworenen Aficionados zugänglichen Klangwelten Einzug in die traditionellen Konzerthäuser gehalten und sich darüber hinaus neue Präsentationsformen und -räume geschaffen – mit eigenem Publikum, das sich nicht zwangsläufig aus einer klassisch konditionierten HörerInnenschaft rekrutiert. Die Übergänge zwischen dem, was gemeinhin als U und E klassifiziert wird, verlaufen hier fließend und heben sich oftmals auf.
In der Elektronischen Musik geht es heutzutage aber nicht allein um die faszinierenden klanglichen Möglichkeiten, die das Medium in überreichem Maße bietet. Der Einsatz von Computertechnologie erlaubt die Generierung, Manipulation und Entfaltung des Klanges in Echtzeit und schafft damit die Ausgangsbasis für ungewöhnliche Hybride zwischen konventionellen akustischen Instrumenten und deren elektronischen Erweiterungen. Die unmittelbare und intuitive Kommunikation der MusikerInnen mit der Software ist in der Live-Elektronik ein entscheidender Faktor, was zur Entwicklung interaktiver Computerprogramme und sensorgesteuerter Kompositionsprozesse führt. Eine wichtige Rolle spielt hier das 2007 von Johannes Kretz gegründete Zentrum für innovative Musiktechnologie (ZiMT), das interdisziplinäre und institutsübergreifende Forschung betreibt und sich außerdem mit Fragen der computergestützten Komposition sowie multimedialen Performances auseinandersetzt.
Einen weitereren Forschungsschwerpunkt betrifft das weite Feld der Klangprojektion. Die orthodoxe Lautsprecherbeschallung wurde in den letzten Jahrzehnten durch digitale Technologien wie Ambisonic und Wellenfeldsynthese erweitert und erlaubt nicht nur die Simulation bestehender Klangräume, sondern auch die Inszenierung von Raumklang-Bewegungen, die weit über das hinausgehen, was herkömmliche Surround-Systeme leisten. Das Ende 2008 am Institut für Komposition und elektroakustische Musik initiierte Projekt Raumklang-Instrument stellt eine künstlerischen Plattform für 2- und 3-dimensionale Klangprojektion dar, in der unterschiedliche Technologien unter einer gemeinsamen, intuitiv zu bedienenden Benutzeroberfläche vereint werden. Dieses "Instrument" wird demnächst KomponistInnen, TonmeisterInnen und InstrumentalistInnen als Experimentierfeld und Produktionsmittel zur Verfügung stehen.
Die Elektronische Musik präsentiert sich heute als weit verzweigtes Geflecht, das vielfältige Anknüpfungspunkte zu den anderen Künsten bietet. Daraus resultieren neuartige Verbindungen mit zeitgenössischem Tanz und Performance, Video und Installation, in denen die unterschiedlichen ästhetischen Kategorien nicht bloß nebeneinander laufen, sondern über digitale Schnittstellen und spezielle Software-Module strukturell miteinander vernetzt sind. In solchen multi-ästhetischen, nicht reproduzierbaren, zeitlich offenen und durch Interaktion gesteuerten Kunstformen wird der traditionelle Werkbegriff in Frage gestellt, was neue Präsentationsformen abseits des herkömmlichen Abendkonzertes erforderlich macht. All dies hat wiederum Auswirkungen auf die Gestaltung des Kompositionsunterrichts, im Rahmen dessen die Studierenden ermutigt werden, unerforschtes Neuland zu betreten, um sich selbst immer wieder neu zu erfahren in der Entwicklung ihrer individuellen Musikerpersönlichkeit.
Karlheinz Essl, geboren 1960 in Wien. Komponist, Improvisationsmusiker, Medienkünstler, Software-Designer. Studierte Komposition bei Friedrich Cerha und Musikwissenschaften in Wien. Composer-in-residence bei den Darmstädter Ferienkursen sowie am IRCAM in Paris. Seit 2007 Kompositionsprofessur für Elektroakustische Musik an der Musikuniversität Wien.
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Updated: 1 Feb 2018